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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Roggen aus dem Militair-Magazin (1847 - 1850)

Dieter Gewitzsch

Preisabfrage, erste Erinnerung

Stadtarchiv Selm - Foto: dg

Wie erwartet, schlug die mäßige Roggenernte des Jahres 1846 auf den Markt durch und das Landratsamt begann im Herbst, nach den örtlichen Preisen zu fragen. Im Amt Bork kostete der Berliner Scheffel[1] im Oktober 1846 drei Taler und 25 Silbergroschen, fast einen halben Taler mehr als im Schnitt im Kreis Lüdinghausen bezahlt wurde.[2] Noch im Frühjahr 1846 war Roggen um einen Taler günstiger zu haben, doch seitdem hatte der Preis für einen Scheffel um etwa 45 Prozent zugelegt.

Roggen immer teurer: Regierung rät Kommunen zur Vorsorge 

Zu dieser Zeit lies die Regierung verlauten, dass sie es angemessen fände, wenn die Gemeindeversammlungen angesichts steigender Roggenpreise berieten, ob sie rechtzeitig für gemeinschaftliche Rechnung Brotkorn kaufen sollten, und entsprechende Beschlüsse fassen würden. Im Winter könnte das Getreide zum Einkaufspreis an Bedürftige abgegeben werden. Der Amtmann möge – wenn noch nicht geschehen – dazu einen Anstoß geben, sich aber auch die Beschaffung der etwa erforderlichen Gelder angelegen sein lassen. Der Regierung war wohl klar, dass die angemahnte Selbsthilfe die kommunalen Kassen überfordern könnte. Stojentin wurde angewiesen, bedürftige Gemeinden unter Bezeichnung der Lage des Communal-Haushalts schleunigst namhaft zu machen, damit man übersehen könnte, in wie weit eine etwaige Beihülfe gewährt werden möchte.[3]

Zum Ankauf von Korn beantragte die Gemeinde Bork im Januar 1847 einen Vorschuss von 400 Talern aus den Mitteln der Armenfonds von Altlünen (300 Taler) und Cappenberg (100 Taler).[4] Das Geld wollte man nach einem halben Jahr zurückzahlen und mit 2 ½ Prozent verzinsen. Es wurde aber nicht gleich gekauft. Im März entschieden sich die Gemeinden des Amts Bork, von dem Ankauf von Roggen einstweilen noch Abstand zu nehmen; lieber wollte man Brot in Lünen ...aufkaufen. [5]

Unterstützungs-Roggen aus staatlichen Vorräten

Im April 1847 – der Roggenpreis hatte gerade die Marke von vier Talern pro Scheffel übersprungen – kündigte der Landrat an, dass auf Initiative des Oberpräsidenten bei dem Proviant-Amte in Wesel eine Roggen-Unterstützung von 40 Wispel[6] für den hiesigen Kreis zur Disposition stünde.[7] Nach der Seelenzahl ungefähr aufgeteilt, könne Bork 60, Selm 37 ½ und Altlünen 20 Scheffel Roggen als „Vorschuss“ erhalten. Der Amtmann möge den Gemeindeversammlungen das Angebot unterbreiten und dabei bemerken, dass die Festsetzung des Erstattungspreises noch vorbehalten bleiben müsse. Die Regierung habe aber versichert, dass der Preis so günstig als nur irgend möglich festgesetzt würde. Die Gemeinden, welche den Roggen zu erhalten wünschen, müssten dem Landratsamt schleunigst ...Verpflichtungs-Urkunden einreichen, und sich unbedingt  denjenigen Bestimmungen ... unterwerfen, welche demnächst höheren Orts gestellt werden. Es stehe den Gemeinden frei, den Transport des Roggens von Wesel durch zu entsendende Deputirte selbst besorgen oder sich an einem gemeinsamen Unternehmen zu beteiligen: Der Freiherr von Bodelschwingh auf Sandfort [sei] geneigt, für mehrere Gemeinden die ... Quantitäten in Wesel in Empfang zu nehmen, deren Verpackung und Versiegelung in Säcken selbst zu besorgen und wegen Verladung zu Schiff und Versendung nach Schulze Eversum bei Olfen mit einem Spediteur zu contrahiren. Den Gemeinden bleibt dann nur neben den Kosten der Verpackung, Verladung und Verschiffung die Last der Abholung von dem vorbezeichneten Ausladeplatze an dem noch näher zu bezeichnenden Tage und eventuell auch die Zahlung des Lagergeldes beim Schulzen Eversum.

Zur leichteren Kontrolle wünschte Bodelschwingh, die Verpackung in Säcken zu je 2 ½ Scheffel und Lieferung an die Gemeinden in vollen Säcken auch wenn als Folge die Seelenzahl nicht ganz genau der Maßstab für die Größe des Anteils sein würde. Der Landrat bot an, die von den Gemeinden bereitgestellten Säcke zu sammeln und mit einer Karre auf gemeinschaftliche Kosten nach Wesel zu senden. Allen Roggenfuhren wolle er zudem Legitimationsscheine ausstellen, damit kein Chausseegeld entrichtet werden braucht.

Über die Lippe nach Dahl bei Bork: Die erste Hilfslieferung

Fährboote beim Übersetzen

Fährboote beim Übersetzen, Kupferstich 1838 - Privatbesitz, Foto: dg

Keine Woche verging, da teilte Schmising seinen Gemeinden mit, der Roggen für den Kreis Lüdinghausen würde nicht in Wesel, sondern in Hamm bereitgestellt. Die Regierung habe anderweitig verfügt, aber Bodelschwingh bliebe zweifellos geneigt, die Fracht auch in Hamm in Empfang zu nehmen.  Die für das Amt Bork und umliegende Gemeinden bestimmten Säcke könnten mit einem Schiff nach Dahl bei Bork gebracht und dort von aus den einzelnen Gemeinden dahin zu entsendenden Fuhrleuten übernommen werden. Bodelschwingh wolle an mehreren Ausladeplätzen ... die Distribution übernehmen. Ich empfehle – schloss Schmising – die allergrößte Beschleunigung bei Einholung der Gemeindebeschlüsse und erwarte diese in den nächsten Tagen.[8] Geradezu postwendend kamen die Gemeinden des Amtes Bork der Empfehlung nach, reichten die Papiere ein[9] – und mussten noch Wochen auf das Korn warten. Das kam schließlich doch aus Wesel, wurde über die Lippe transportiert und traf am 4. Juni 1847 präcise 3 Uhr Nachmittags zu Dahl bei Bork am Abladeplatz ein. Dort sollte der Roggen sogleich ausgeladen werden, weil das Schiff weiter geht. Stojentin sollte dafür sorgen, dass die Wagen aus Bork und Selm zu Abholen ... gewiß da sind. Und weil die Fuhrleute aus Ottmarsbocholt, Venne, Nordkirchen und Südkirchen ihre Zuteilungen ebenfalls in Dahl zu empfangen haben und Unordnungen entstehen könnten, möge sich der Borker Amtmann vor Ort einfinden; Bodelschwingh werde vielleicht ebenfalls anwesend sein.

Roggenpreise erreichen im Frühsommer 1847 Höchststände

Im Frühsommer 1847 hatte sich die Lage auf den Kornmärkten nicht entspannt. In den Monaten Mai und Juni erreichte der Preis für einen Scheffel Roggen mit vier Talern und 20 (18) Silbergroschen im Kreis Lüdinghausen den Höchststand des laufenden Jahres.[10] Das wichtige Brotgetreide kostete beinahe doppelt so viel wie ein Jahr zuvor und im Borker Amtsbezirk blieb trotz der erhaltenen 117 ½ Scheffel Roggen ein höchst fühlbarer Mangel an Korn bemerkbar. Als das Landratsamt Anfang Juni eine weitere Lieferung aus vom Gouvernement angekauften Beständen ankündigte, griff Stojentin zu und beschaffte Verpflichtungserklärungen aus Selm, Bork und Altlünen über ein Gesamtquantum von 250 Scheffeln.[11] Wenige Tage später drängte er den Landrat:[12]

Die Empfangnahme des zu Wesel lagernden Unterstützungsroggens betreffend.

Der hier eingetretene Mangel an Brodkorn verpflichtet mich Ew. Hochwohlgeboren gehorsamst zu bitten, alle nur mögliche Eile geneigtest aufzubieten, die Authorisation zur Empfangnahme des vom Amte Bork gewünschten Vorschusses aus dem Magazin zu Wesel herbeizuführen.

Alle und eigenen aufzutreibende Bestände an Brodkorn sind inzwischen angeliehen um den Leuten bis zum Eintreffen des Unterstützungs-Roggen Brod zu beschaffen. Diese Bestände gehen gegen Ende dieser Woche völlig auf und ist nicht abzusehen, auf welchem Wege der dann eintretende Brodmangel gehoben werden soll, wenn nicht inzwischen der fragliche Roggen eintrifft.

Die erforderlichen Vorbereitungen sind bereits getroffen und bedarf es nur der Vollmacht zur Empfangnahme, welche, wenn sonst anderweite Bedürfnisse nicht eingetreten sind nöthigenfalls mittelst eines expressen Boten auf Kosten der Gemeinden von Königl. Hochlöbl. Regierung zu erbitten ich gehorsamst habe in Antrag bringen wollen

Der Amtmann

v Stojentin

Zweite Hilfslieferung nach Eversum bei Olfen und Dahl bei Bork

Das Landratsamt musste nicht gemahnt werden, der Vorgang war bereits bearbeitet und so konnte der Borker Amtmann am 23. Juni 1847 die Ermächtigung zur Empfangnahme von zehn Wispel Roggen in Wesel in Händen halten.[13] Weil zu großes Begehr sich herausgestellt hatte, wurden statt der beantragten 250 nur 240 Scheffel bewilligt, von denen die Gemeinde Seppenrade 36 und das Amt Bork 204 erhalten sollten. Stojentin durfte also nach Wesel reisen, den Roggen in Empfang nehmen und möglichst billig ... Verpackung und Verschiffung ... besorgen. Er engagierte den Schiffer Krebber und traf am 28. Juni mit den für Seppenrade bestimmten Säcken in Eversum bei Olfen ein. Einen Tag später übergab er die für das Amt Bork gedachte Fracht in Dahl an die bestellten Fuhrleute.

Abrechnung zu Marktpreisen

Die Gemeinden hatten sich notgedrungen zur Erstattung des später zu regulirenden Kaufpreises verpflichtet. Jetzt sahen sie sich der Teuerung ausgeliefert, als Oberpräsident Flottwell unmittelbar nach der Auslieferung des „Unterstützungs-Roggens“ den Preis nannte. Jeder Scheffel sollten vier Taler und zwanzig Silbergroschen kosten. Offensichtlich orientierte sich der Staat zur Regulierung der Erstattung nicht an den einst gezahlten Einkaufspreisen, sondern an dem aktuellen Marktpreis am Abgabeort Wesel. Dazu hatte man Stojentin aufgetragen, sich den am Tage der Empfangnahme gültigen Marktpreis für Roggen vom Weseler Oberbürgermeister Luck bescheinigen lassen und das Attest dem Landratsamt einreichen. Vier Taler und zwanzig Silbergroschen – teurer war das wichtige Brotgetreide im Kreis Lüdinghausen während des ganzen Krisenjahres 1847 nicht. Auf den ersten Blick sah das nach einem guten Geschäft aus, das die Provinz mit der Notlage ihrer Gemeinden machen konnte. Die Forderung eines marktkonformen Preises war allerdings auch geeignet, einen Weiterverkauf unattraktiv zu machen und sicherzustellen, dass der Roggen tatsächlich in die Backstuben gelangte. Zu der eher fürsorglichen Seite der Regelung gehörte auch, dass der Oberpräsident die Regierung in Münster ermächtigte, mit Berücksichtigung der durch den weitern Transport entstehenden Kosten eine Ermäßigung dieses Preises zu bewilligen. Stojentin wurde aufgefordert, auch diejenigen Umstände an[zu]geben, welche außer den Transportkosten diese Berücksichtigung herbeiführen können.[14] Im Juli 1847 teilte das Landratsamt mit, die Regierung habe den Preis dieses Roggens ... auf 4 Thaler pro Scheffel ermäßigt und außerdem ein Prozent-Abzug in Aussicht gestellt.[15] Ein geringer Trost für die Gemeinden, denn auf den Märkten des Kreises war Roggen fast einen Taler billiger zu haben.

Wer trägt die Nebenkosten?

Stojentin widmete sich der Nebenkostenabrechnung und hatte vorab die Forderungen des Lippe-Schiffahrts-Comptoir in Wesel zu klären. In einer nur mündlich geschlossenen Vereinbarung hatte der Amtmann dem Geschäftsführer Decken[16] einen Satz von drei Silbergroschen pro Scheffel zugestanden, weil das Korn eilig transportiert werden sollte. Üblicherweise war die Verschiffung zu zwei Silbergroschen und zehn Pfennigen zu erzielen. Hinzu kamen Barauslagen für Porto, Police-Kosten, für das Tragen der Säcke vom Magazine zum Schiffe ... und die Fuhrkosten für die leeren Säcke nach Wesel. An die eigenen Bemühungen erinnerte der Amtmann „höheren Orts“ auf die im Stil der Zeit übliche Weise: Ob und welche Vergütung mir für das ausgeführte Geschäft gewährt wird, überlasse ich Ew. Hochgeboren geneigter Entscheidung nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen.[17] Das Landratsamt prüfte die Belege und begrenzte die Forderung der Frachtschiffers auf dreißig Taler. Stojentin bekam etwas weniger als zwanzig Taler. Man erstattete ihm die Barauslagen und gewährte an Reisekosten fünfzehn Silbergroschen pro Meile und an Diäten eineinhalb Taler pro Tag.[18] Die Abwicklung der Hilfslieferung kostete die Gemeinden knapp fünfzig Taler oder rund sechs Silbergroschen pro Scheffel.

Die Preise fallen, aber die Verpflichtungen bleiben

Mitte August 1847 stellte sich heraus, dass die Regierung an den im Juni genannten Preisen nicht festhalten wollte. Flottwell ermäßigte den Preis auf drei Taler und fünfzehn Silbergroschen pro Scheffel. Zugleich wurde berücksichtigt, dass die Gemeinden größtentheils den Roggen selbst wieder an ärmere Eingesessene auf Credit verkauft und einen Ausfall erlitten haben ..., welcher erst im nächsten Jahre durch Aufschlag auf die Communal-Steuern zu decken sei. Münster sei deshalb bereit, die Forderungen aus der ersten und zweiten Roggenlieferung bis zum 15. April des kommenden Jahres zu kreditieren. Die Ortsbehörde möge dieses den betreffenden Ackermännern mittheilen, denselben aber zugleich bedeuten, daß ein längerer Credit keinen Falls gewährt werden würde.[19]

Allein, mit dem Preisverfall auf den Kornmärkten konnte das Entgegenkommen der Regierung nicht Schritt halten. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kann generell gesagt werden, dass sich auf den Getreidemärkten jede Änderung der Angebotsmenge noch unmittelbar und ungebremst auf den Preis auswirkte. 1847 fiel die Roggenernte in Westfalen sehr reichlich aus. Im August wurden für Roggen noch zwei Taler und zwei Silbergroschen bezahlt und ab Oktober lag der Preis bis zum Jahresende unter der Marke von zwei Talern. Bei derart sinkenden Verkaufserlösen mussten die „Ackermänner“ grob gerechnet zwei Scheffel Roggen verkaufen, um einen Scheffel „Unterstützung“ zu erstatten. Diese Situation vor Augen, konfrontierte Stojentin im September den Landrat mit einem „Wunsch“ seiner Gemeinden:

Unsere Gemeinde-Verordneten haben den Wunsch ausgesprochen, den aus dem Magazin zu Wesel erhaltenen Unterstützungsroggen in Natura in magazinmäßiger Güte zurückzuerstatten zu dürfen, und mich ersucht Ew. Hochgeboren um sehr geneigte Vermittelung dieserhalb gehorsamst zu bitten.

Da diese Erstattungsweise dem Gouvernement keine Verluste, den Gemeinden aber bei den gegenwärtigen Kornpreisen bedeutenden Vortheil gewährt, so habe ich diesem Ansinnen hierdurch nachkommen und um Hochderselben geneigte Verwendung gehorsamst bitten wollen.[20]

Die Regierung will Geld sehen

So entgegenkommend war Flottwell dann doch nicht. Landrat Schmising konnte dem Borker Amtmann nur mitteilen, dass die Gemeinde Olfen ist mit gleichem Antrage erst von Königlicher Regierung und demnächst von des Herrn Geheimen Staatsministers Flottwell Excellenz abschlägig beschieden wurde.[21] Dafür fand in Münster die Abteilung des Innern im Spätherbst Zeit, die in der Sache eingereichten Dokumente der Form nach zu bemäkeln.  Die Verpflichtungsurkunden der Gemeinden seien nicht dem § 105 der Landgemeinde-Ordnung gemäß ausgestellt ... und zum Theil nur bloße Anträge auf Ueberweisung von Roggen, die das Bekenntniß des wirklichen Empfangs des gewünschten Quantums gar nicht oder nur unvollständig enthalten. Kreissekretär Hentze setzte Stojentin eine Frist von acht Tagen, um vollständige Schuldurkunden einzureichen, aber in Bork zog man vor, den Vorgang rund um die erste Lieferung abzuschließen. Die avisierte Zahlungsbereitschaft konnte offenbar auch Formfehler heilen, denn Schmising beschied umgehend: Vor Ausstellung der Schuldurkunden wird in der Erwartung Abstand genommen, daß die Zahlung binnen Kurzem erfolgen wird. Mit Datum vom 15. Dezember 1847 quittierte die Regierungshauptkasse den Empfang der Erstattungszahlung in Höhe von 411 Talern, sieben Silbergroschen und sechs Pfennigen. Als zum Jahresende der Scheffel Roggen auf den Märkten für einen Taler, 22 Silbergroschen und drei Pfennige zu haben war, erstatteten die Gemeinden der Regierung den Scheffel mit dreieinhalb Talern.

In Münster sorgte sich die Regierung um die bis zum 15. April 1848 kreditierten Verpflichtungen und erinnerte Mitte Februar des Jahres das Amt Bork an die rechtzeitige Einsendung des Kaufpreises für die zweite Roggenlieferung und die Rückzahlung eines Darlehns aus dem Grundsteuer-Deckungsfonds.[22] In Kürze würde der Gemeindekasse ein Teil der mit den Staatsteuern erhobenen Communalbeischläge überwiesen; man erwarte daher, dass die Gemeindekasse flüssig sei und bis zum festgesetzten Termine die Gelder zum Vollen eingesandt sein werden. Was immer den Optimismus der Regierung genährt hat, das Amt Bork konnte den Erwartungen nicht entsprechen. Der Zahlungstermin verstrich und Stojentin äußerte sich erst Ende November 1848 zur Kassenlage. Die im Krisenjahr 1847 geleisteten Vorschüsse und andere außerordentliche, unvorhergesehene Ausgaben seien keineswegs ausgeglichen, berichtete er dem Landrat. Die Kassen hätten alle mit „Vorschuss“ abgeschlossen: Bork mit 337, Selm mit 112 und Altlünen mit 66 Talern. Es sei den Gemeinden des hiesigen Amtes nicht möglich gewesen, die Erstattung des Kaufpreises für die zweite erhaltene Sendung an Unterstützungs-Roggen schon jetzt abzuführen. Der Landrat möge bei der Regierung um Aufschub bis zum April des kommenden Jahres (1849) nachsuchen. Stojentin versprach, bis dahin dafür Sorge tragen [zu] lassen, daß die Gelder in den Communalkassen disponible liegen und rechtzeitig abgeführt werden.[23]

Gegenüber dem Landratsamt mühte sich der Borker Amtmann um eine plausible Erklärung, wie die Gemeinden das Geld aufbringen könnten. Es gäbe Erlöse aus dem Wiederverkauf des Roggens und wenn nötig, werde die Gemeindekasse Bork einen Zuschuss bereitstellen. Der sei zwar im Etat für 1849 nicht vorgesehen, aber man könne auf den Fond für den Titel „Insgemein“ zugreifen. Außerdem sei die Rückzahlung eines gewährten Vorschusses für Kirchenbedürfnisse zu erwarten und zusammengenommen würde das hinreichen, um die erforderlichen Gemeindezuschüsse bereit zu haben.[24] Der Landrat zeigte sich nicht beruhigt und kritisierte besonders die Vorstellung, ein Teil  des Kaufpreises für den Unterstützungs-Roggen [könne] aus der Gemeindekasse von Bork bestritten werden. Hierfür sei im Etat ... pro 1849 nichts in Ansatz gebracht; auch ... [ließen] sich bei den einzelnen Positionen des Etats, deren Beträge durchgehend nicht zu hoch in Ansatz gebracht sind, erhebliche Ersparnisse wohl nicht machen. Das gelte besonders für den Titel ad extraordinarium, der nur mit 50 Talern ausgestattet sei und möglichst conservirt werden müsse. Dann wurde Schmising grundsätzlich: Es frägt sich daher noch immer, wie der fehlende Betrag beschafft werden soll. Bei der Ihnen obliegenden Vorsorge, daß die Gemeindekasse nicht in Geldverlegenheit komme, haben Sie rechtzeitig die Beschaffung der fehlenden Mittel zu veranlassen.[25]

Der Griff in die Gemeindekasse

Von den Gemeinden des Amtes Bork war auch im April 1849 kein Geld zu bekommen. Im Juli mahnte die Regierung und das Landratsamt  forderte erneut Stojentins Bericht – binnen 14 Tagen bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe von 15 Silbergroschen. In Lüdinghausen ging man weiterhin davon aus, dass mit Verkaufserlösen nur ein Teil der Verbindlichkeiten beglichen werden konnte und die Gemeindekassen verpflichtet seien, den Rest zu übernehmen. Auf diesen kommunalen Beitrag zielend unterbreitete das Landratsamt den Vorschlag:

Falls die Mittel der Gemeinden zur Zeit ausreichen, die Zahlung der zuzuschießenden Beträge zu leisten, so sind die Gemeindekassen schon vorläufig zur Abführung derselben anzuweisen, damit der Staatskasse der aus 1849 herrührende Vorschuß endlich erstattet werde.[26]

Es ist nicht ganz ersichtlich, was der bestimmende Auslöser war: Im Amt Bork verzögerte man die Zahlung nun nicht länger. Unterm 23. August 1849 wies Stojentin die Gemeindekassen an, den in Rede stehenden Betrag von insgesamt 714 Talern bereitzustellen und einstweilen vorschußweise zu buchen.[27] Das bedeutete aber nicht, dass das Geld gleich in Richtung Münster unterwegs war. Ein gutes Vierteljahr später sah sich der Borker Amtmann veranlasst, beim Gemeindeempfänger Lange in Lüdinghausen nachzufragen, ob die zweite Sendung Unterstützungsroggen bei der Hauptkasse bezahlt wurde.[28]

Mit seiner Aufforderung, der Regierung den geforderten Erstattungspreis zu zahlen, kündigte Stojentin den Gemeinden auch an, über die Wiedereinziehung dieses Betrages von Verpflichteten besonders verfügen zu wollen. Die Gemeinden hatten die finanzielle Seite der Unterstützungsaktion zwei Jahre vor sich hergeschoben und von den privaten Empfängern des Roggens bislang keine Bezahlung verlangt. Stojentin veranlasste die Gemeinden, die ausstehenden Beträge einzuziehen, oder er stellte selbst Einnahmeanweisungen aus. In der Akte finden sich Belege zu den folgenden Zahlungen:[29]

  • Wirth Wilhelm Pieper, Selm, für im Juli 1847 zum Backen und zum Wiederverkauf erhaltene 60 Scheffel zu 3 Talern 12 Silbergroschen und 6 Pfennigen der Gesamtbetrag von 205 Talern.
  • ders. für 1 Malter [?] angekauften Roggen in 1847 weitere 30 Taler.
  • Schulze Wethmar, Altlünen, für im Monat July 1847 zum Backen und Wiederverkauf erhaltene 14 Scheffel zu 3 Talern und 15 Silbergroschen der Gesamtbetrag von 49 Talern.
  • Die Kolone Richter (22), Haverkamp (14) und Kreutzkamp (12) erhielten zusammen 48 Scheffel zum Preis von 3 Taler und 5 Silbergroschen, das machte zusammen 152 Taler.
  • Bäcker Schweer in Bork für den im Jahre 1847 von der zweiten Sendung erhaltenen Unterstützungsroggen ad. 24 Scheffel, pro Scheffel 3 Thaler 5 Silbergroschen also im Ganzen 76 Thaler.

Fünf der hier gelisteten sechs Empfänger waren Mitglieder der jeweiligen Gemeindevertretung und ausweislich der Protokolle bei den verpflichtenden Beschlüssen anwesend. Alle waren keine Endverbraucher sondern Unternehmer, die Brot herstellten oder als Händler auftraten. Zusammen bekamen sie 146 Scheffel Roggen und bezahlten dafür 512 Taler. Das Amt Bork erhielt in zwei Lieferungen insgesamt 321 ½ Scheffel und zahlte etwas mehr als 1.125 Taler. Der Verbleib des gelieferten Brotkorns lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren. Es gibt keine Hinweise auf andere Empfänger oder Anhaltspunkte, dass man der Vorstellung der Regierung gefolgt ist und das Getreide im Winter zum Einkaufspreis an Bedürftige abgegeben hat. Ebenso wenig können alle Zahlungen nachvollzogen werden. Für finanzielle Ausfälle traten die Gemeindekassen ein. Sie legten u.a. den Differenzbetrag hinzu, wenn der mit den örtlichen Käufern vereinbarte Preis unter dem lag, was später der Regierung erstattet werden musste. [30]

September 2015
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[1] Scheffel ist ein Hohlmaß für trockene Schüttgüter; der preußische (Berliner) Scheffel misst 54,960 Liter. Ein Scheffel Roggen wiegt etwa 38,35 kg. – Johannes Bracht, Geldlose Zeiten, S. 443. 
[2]
Amtsblatt Regierung Münster 1846, S. 271. 
[3]
[4] StA Selm, AB-1 Nr. 155.
[5]
StA Selm, AB-1 Nr. 155 – Schreiben vom 13.03.1847 an den Olfener Amtmann Hülskötter, der den Borker Kollegen nach evtl. gezahlten Preisen für Roggen gefragt hatte.
[6]
Wispel ist ein Hohlmaß für trockene Schüttgüter; ein preußischer Wispel enthält 24 Scheffel oder 1319,760 Liter. – wikipedia, 13.07.2015.
[7]
[8] [9] StA Selm, AB-1 Nr. 155.  
[10]
Amtsblatt 1847. 
[11]
bis [15]  StA Selm, AB-1 Nr. 155.
[16]
Vgl. Dieter Gewitzsch, Plattes Land sucht Anschluss, Selm 2013, S. 144 – Der Geschäftsführer des Lippe-Schiffahrts-Comptoir, C.H. Decken unterbreitete 1850 dem Borker Amtmann Stojentin Vorschläge für den Verlauf der Straßenverbindungen zur Lippe. 
[17]
bis [30] StA Selm, AB-1 Nr. 155.

 
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