aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Schädlinge überall und immer wieder

Christel Gewitzsch

Haarige Raupenplage – Platz im Zechenbusch gesperrt / Nester des Eichenprozessionsspinners entdeckt

Selm. Raupenalarm in Selm: Jetzt ist der Eichenprozessionsspinner auch in Selm angekommen. Diese Raupe ist nicht nur gefräßig, sondern auch gefährlich: Der Schädling frisst ganze Bäume ratzekahl und seine Haare verursachen Hautreizungen und -entzündungen.“[1] So stand es in den Ruhrnachrichten im Juni 2017 und so ähnlich hätte es auch in einer Zeitung des Jahres 1829 stehen können.

Denn nicht nur aus Berlin und Münster kamen alarmierende Meldungen, sondern auch aus Cappenberg. Die Prozessionsraupen fraßen die Eichenwälder kahl, die Reblaus behinderte das Wachstum der Reben, Arten aus der Familie der Borkenkäfer bohrten sich Gänge ins Holz, der sogenannte Coloradokäfer vernichtete die Kartoffelernte, die Raupen des Kohlweißlings fielen über Kohl- und Rübengewächse her, die San-Josè Schildlaus verseuchte die Äpfel.

Der Prozessionsspinner

Die Prozession der Raupen

Über diesen Schädling kam 1829 die Alarmmeldung aus Cappenberg. Freiherr vom Stein ließ durch den Oberförster ausrichten, Bürgermeister Köhler möge die übrigen Waldbesitzer dazu animieren, dieses schädliche Insekt auf jede mögliche Art zu zerstöhren.[2] Die Prozessions- oder Wanderraupe – so heißt sie in der Akte – habe sich stark vermehrt, man werde sie nicht gänzlich vernichten können, doch solle wenigsten auf eine Verminderung des Vorkommens hingearbeitet werden. Seinen deutschen Namen verdankt der Falter der Fortbewegungsart seiner Raupen. Wenn sie ihr gemeinsames Gespinst verlassen, wandern sie hintereinander, dem abgeschiedenen Spinnfaden der Vorgängerin folgend, den Eichenblättern entgegen.

Im Cappenberger Tiergarten waren im Jahr davor die Forstarbeiter erfolgreich gegen die Tiere vorgegangen, indem sie Ende Juni die in ihren Gespinsten zusammenhängenden Raupen abgeschlagen und sofort, bevor sie auseinanderkriechen konnten, verbrannt hatte. In diesem Jahr, schrieb der Förster, wendeten zehn Arbeiter dort schon seit acht Tagen diese Methode wieder an.

Wenn Schreiben aus der Umgebung des Schlosses kamen, ließ sich der Bürgermeister nicht lange bitten. Schon einen Tag nach Erhalt des Briefes setzte er eine Bekanntmachung auf, um die anderen Waldbesitzer vor der Schädlichkeit der Wanderraupe zu warnen. Er gab die Empfehlungen des Oberförsters nassforsch als seine eigenen Erkenntnisse weiter, indem er schrieb: Ich will deshalb meinen Untergebenen ein Mittel an die Hand geben wie solches möglich zu machen, und die Eigenthümer von Waldungen hiermit aufgefordert haben, solches des schleunigsten zu versuchen, wo sie von der guten Wirkung überzeugt, sich gewiß gerne bemühen werden, um die alles verheerende Wanderraupe nach Möglichkeit zu vermindern.

Auch als Ende Juni der Landrat zur Vertilgung der Wanderraupe aufforderte, schmückte sich Köhler mit fremden Federn, als er darauf hinwies, dass er bereits vor der im Amtsblatt veröffentlichen Verfügung der Königlichen Regierung seine Untergebenen zur Vertilgung der Raupen aufgefordert und denselben das Mittel nemlich die Verbrennung derselben schon an die Hand gegeben habe. Inzwischen waren neben dem Abstoßen der Raupengespinste weitere Methoden ausprobiert worden: das Bestreichen der Stämme mit Teer, mit Seifenlauge oder das Bespritzen mit einer mit Kalk vermengten Aschelauge. Große Erfolge wurden damit nicht erzielt. Klagend berichtete Köhler weiter: Es fält übrigens schwer den Landmann zu dergleichen Arbeiten willig zu machen, wiewohl er zwar den großen Schaden welchen die Raupen anrichten einsieht, dagegen aber auch wieder die große Arbeit, die ihm gleichzeitig in seinen übrigen Arbeiten sehr zurücksetzt, scheute und so nicht andauernd bei der Sache ist.

Jahrzehntelang wurden keine Schreiben zu der Prozessionsraupe in der Akte abgeheftet. Erst im Sommer 1869 warnte Amtmann Foecker nach einer Aufforderung aus Lüdinghausen vor einem neuen großen Befall. Er erklärte und informierte wieder, forderte zum Handeln auf und drohte den Säumigen mit einer Geldbuße bis zu zwanzig Taler oder Gefängnis bis zu vierzehn Tagen.

Den Verdacht, dass die Kontrollen der Bäume nur ungenügend durchgeführt wurden, wiederholte die Regierung 1870. An den amtlich ergangenen Mitteilungen und Bestimmungen könne das nicht liegen, sie seien vollkommen ausreichend gewesen und jeder Grundbesitzer wäre in die Lage versetzt worden, einen Befall zu erkennen und zu bekämpfen. Es bedürfe nur der Aufmerksamkeit und des Interesses der Behörden, um einer Calamität wie der im Jahre 1828 eingetretenen vorzubeugen.

Der damals noch kommissarisch tätige Amtmann Döpper vermelden daraufhin, daß im hiesigen Amte keine Prozessionsraupen entdeckt worden waren. Fünf Tage später musste er sich korrigieren und an den Landrat schreiben: Von dem Oberförster Pfannkuchen zu Cappenberg wurde mir gestern mündlich mitgetheilt, daß er am Freitag voriger Woche in den Eichen am Rande eines in der Nähe des Schlosses Cappenberg belegenen Busches 12 Prozessionsraupennester entdeckt und ausgebrannt habe. Euer Hochwohlgeboren verfehle ich nicht, diesen Vorfall hiermit gehorsamst anzuzeigen.

Nach weiteren sechs Tagen meldete der Cappenberger Oberförster erneut den Fund einiger Nester. Döpper verabredete sich mit ihm, damit sie gemeinsam auf die Suche gehen konnten. Gleich in der Nähe des Dorfes Bork wurden sie auf dem Grundstück des Pfarrers Pröbsting fündig. 39 Nester mussten dort ausgebrannt werden. In der Folge dieses Erfolges veranlasste Döpper eine größere Suchaktion, bei der insgesamt circa 300 Raupennester entdeckt wurden. Tags darauf suchte er in Selm weiter, auch dort fand Döpper einige Raupen.

In der Frage, ob die Grundbesitzer bestraft werden sollten, zeigte sich der Amtmann sehr milde. Er glaubte immer noch oder gab doch wenigstens vor zu glauben, daß diese Leute [...] ehr aus Unwissenheit als aus Fahrlässigkeit gegen die vorgedachte Polizeiverordnung gefehlt hatten und setzte auf weitere Aufklärung. Am folgenden Sonntag wollte er die Polizeiverordnung noch einmal in den Kirchen verlesen lassen. Auch bei der gemeinsamen Suchaktion hatten sich auf seinen Wunsch hin mehrere Schüler bei dem Aufsuchen der Raupen betheiligt und sind diese hierin sowie auch in der Vertilgungsart und über Schädlichkeit der Raupen unterrichtet worden.

Bis 1877 lassen sich immer wieder Erinnerungsschreiben der Regierung und des Landrats mit dem Appell finden, die Suche nach den Raupen ernst zu nehmen und Meldungen zu erstatten. Döpper, der all die Jahre im Amt war, wiederholte dann seine Veröffentlichungen. Meldungen über Funde tauchen nicht mehr auf.

Die Reblaus

Glücklicherweise fielen nicht alle Schädlingen in das Gebiet des Amtes Bork  ein. So brauchte man sich um die Befolgung der Vorläufigen Instruktion zur Ausführung des Gesetzes vom 27. Februar 1878, betreffend Maßregeln gegen die Verbreitung der Reblaus[3] nicht zu kümmern, weil es im hiesigen Amtsbezirk keine Rebschulen oder Weinbaupflanzungen gab. Erst 1905 schrieb Amtmann Busch von der Pflanzung einiger Rebstöcke in Selm, die der Bahnwirt Bernhard Grote in Selm von einer Baumschule in Merseburg bezogen hatte, und die er, wie der Regierungspräsident von dort mitteilen ließ, auf keinen Fall in Weinbaubezirke weiterverkaufen durfte.

Der Borkenkäfer

Wegen des Gemeinen Borkenkäfers schickte die Abteilung des Innern der Regierung in Münster selbst eine Entwarnung, nachdem sie 1876 Berichte über dessen Verbreitung angefordert hatte. Aber andere Schadinsekten aus der Familie der Borkenkäfer, besonders der sogenannte Waldgärtner oder Markkäfer, auch Kiefernmarkkäfer genannt, waren in diesem Zusammenhang aufgetaucht. Zu ihrem Bedauern musste die Regierung feststellen, dass die Besitzer von Nadelholzwaldungen nicht überall mit dem im öffentlichen Interesse wünschenswerthen Eifer der im vorigen Jahre an sie erlassenen Mahnung Folge geleistet[4] hatten.

Oberförster Wessberge aus Cappenberg äußerte sich dazu schriftlich nach Aufforderung durch den Amtmann. Diese Mitteilung sandte Döpper (wahrscheinlich im Original, denn sie befindet sich nicht in der Akte) an den Landrat und ergänzte nur noch, dass ihm das Vorhandensein schädlicher Käfer und Insecten anderweitig nicht bekannt geworden ist. In Cappenberg scheinen sie demnach gesichtet worden zu sein.

Der Coloradokäfer

Das Auftreten des Coloradokäfers, besser bekannt als Kartoffelkäfer, auf einem Feld in der Nähe von Mülheim veranlasste das Ministerium für landwirtschaftliche Angelegenheiten 1877 zu einer nachdrücklichen Alarmmeldung. Es schrieb von einer großen Gefahr, welche [...] dem deutschen Kartoffelbau drohte[5] und informierte zugleich über Mittel und Wege der Gefahrenabwehr. Höchste Aufmerksamkeit und sofortiges Einschreiten seien von Nöten, um die schnelle und starke Vermehrung des Käfers zu verhindern.

Postkarte, Sammlung Otto Heymer

Damit das Publikum den Feind, der bekämpft werden soll, kennen lernt und mit Sicherheit bestimmen kann, ließ das Ministerium Plakate drucken, welche neben einer bildlichen Darstellung des Insekts eine Beschreibung und kurze Geschichte des Auftretens desselben enthalten. Die Aufklärung war dringend nötig, da der Kartoffelkäfer erst 1874 seinen Weg von Nordamerika nach Europa gefunden hatte. Mit dem Aufhängen der Plakate an vielbesuchten Orten wie Schulen und Wirtshäusern hoffte man, das Tier schnell bekannt zu machen.

Wöchentlich zweimal sollten die Grundbesitzer ihre Kartoffelfelder kontrollieren und bei verdächtigen Entdeckungen die Ortspolizeibehörde informieren. Stellte diese einen begründeten Verdacht fest, war das Grundstück abzusperren und die nächste vorgesetzte Behörde zu unterrichten. Von den Regierungen erwartete das Ministerium eine unverzügliche telegraphische Anzeige.

Vor Ort begann nach der Absperrung die eigentliche Arbeit. Das Kartoffelkraut sollte abgemäht, mit Sägemehl vermischt, mit Petroleum begossen und verbrannt werden. Dasselbe geschah dann mit dem ganzen Acker, um die Käfer, Eier und Larven zu töten. Da jedoch die erzeugt Hitze kaum 2 Centimeter tief in die Erde gedrungen war, so waren dadurch selbstredend die etwa 10 bis 13 Centimeter unter der Oberfläche im Boden liegenden Puppen nicht vernichtet. Deshalb musste tief umgegraben und dabei die Puppen an die Oberfläche befördert werden, die Prozedur des Abbrennens wurde wiederholt, der Boden aufgelockert und schließlich mit einer 13 gradigen rohen Kalilauge, wie sie aus Pottasche und Kalkmilch gewonnen wird, begossen. In dem restlichen Jahr lag das  Grundstück brach und wurde von Zeit zu Zeit umgepflügt, um weitere Puppen an die Oberfläche zu befördern, wo sie dann abstarben.

Zum Schluss des Schreibens schwächte das Ministerium sein Regelwerk gleich wieder ab. Es wusste, dass diese Maßnahmen kostspielig und arbeitsintensiv waren und den örtlichen Verhältnissen angepasst werden mussten. Bevor mit den oben beschriebenen Arbeiten begonnen wurde, wollte es deshalb – notfalls telegrafisch – um Genehmigung ersucht werden.

Im darauffolgenden Frühjahr verschickte das Ministerium eine weitere, etwa gleich lange Verfügung mit ergänzenden Informationen und wiederholten Appellen an die Aufmerksamkeit. Dieses Mal drohte es aber auch Strafen an, falls die Felder nicht genügend kontrolliert wurden. Berlin wollte ab sofort schon von den Lokalbehörde beim Auftauchen des Käfers benachrichtigt werden, um dann in aller Schnelle die erforderlichen Anordnungen erteilen zu können.

Nach Erhalt der Verfügungen reichte der Landrat sie in Abschrift an die Ämter weiter. Im Mai 1878 schrieb Amtmann Döpper, daß der Kartoffel Käfer im hiesigen Amte nicht entdeckt worden sei. Döpper formulierte vorsichtig und skeptisch. Er habe die Eingesessenen auf den Käfer aufmerksam gemacht, es ließe sich annehmen, daß das Problem event. das Vorhandensein desselben sofort zu Anzeige bewegt. Er schien seiner Meldung selbst nicht so recht zu trauen.   

Durch die frühe und gründliche Information über den Coloradokäfer konnte dessen Verbreitung erst einmal gestoppt werden. Als während des 1. Weltkriegs die Kontrollen nachließen, kam es zu einer starken Vermehrung des Insekts.

Der Kohlweißling und die Nonne

Auch über das Vorkommen des Kohlweißlings wollte der Landrat informiert werden. Da dieser Schmetterling im Amt Bork nicht in auffallend großer Anzahl aufgetaucht war, sah Döpper davon ab, eine entsprechende Polizeiverordnung zu erlassen. Ein paar Monate später war aber von einer außergewöhnlich großen Menge[6] die Rede und der Amtmann versprach, für eine Vertilgung der verpuppten Raupen zu sorgen.

Vor dem Befall von Bäumen mit Nonnenfaltern, dessen graue, behaarte Raupen von April bis Juli in Laub- und Nadelwäldern Fraßschäden anrichten, warnte das Ministerium für Landwirtschaft, Domainen und Forsten im Sommer 1891. Döpper informierte die Gräflich von Kielmanseggesche Forstverwaltung zu Cappenberg und ließ eine Bekanntmachung in Selm, Bork und Cappenberg publizieren, konnte aber schon kurz darauf Entwarnung geben.

Die San-Josè Schildlaus

Eine groß angelegte Informationskampagne startete das Landwirtschaftsministerium Anfang 1898 wegen der San-Josè Schildlaus, die über die Einfuhr amerikanischer Äpfel ins Land gekommen war. Die Experten vermuteten diesen Schädling auch in inländischen Baumschulen, besonders in denen, die in den letzten fünf Jahren Pflanzen aus Amerika bezogen hatten. Aus Bork kam dazu die nicht sehr überraschende Meldung, dass die kleinen Händler vor Ort noch nie direkt in Amerika eingekauft, sondern ihre Waren nur aus Düsseldorf und Neuss bekommen hätten. Auch als 1900 aus Münster angefragt wurde, wer im Amtsbezirk Pflanzen aus Japan bezogen habe, schrieb Amtmann Busch: In dem diess. Bezirk sind seit dem Jahre 1895 weder von Gärtnern noch Privatbesitzern noch Handelsbaumschulen Pflanzen aus Japan bezogen bzw. eingeführt worden.

Da die San-Josè Laus und ihre wirkungsvolle Bekämpfung noch weithin unbekannt waren, richtete das Ministerium in diesem Fall sein Augenmerk zuerst auf die Ausbildung von Sachverständigen, die dann ihr Wissen weitergeben und selber auf ihren Reisen – mit Mikroskopen ausgestattet – die Laus ausfindig machen sollten.

Parallel dazu stellte Berlin farbige Wandtafeln und einen Leitfaden für selbständige Untersuchungen in Aussicht. Im Mai kam eine dieser Tafeln beim Schulvorstand von Bork an, der dortige Lehrer nahm sie in Verwahrung und alle anderen Lehrkräfte des Amtes wurden über das Vorhandensein behufs event. Mitbenutzung der Tafel in Kenntnis gesetzt.

Im Zuge dieser Aufklärungsoffensive merkte man wohl, dass die Bevölkerung über die Bekämpfung anderer Obstbaumschädlingen auch nicht viel wusste. Deshalb wurde eine weitere Wandtafel produziert, die diesmal in den Amtsstuben der Landrathsämter, der Amtmänner und der Ortsvorsteher, ferner in den Schulzimmern der Dorf und Volksschulen, in den Wartezimmern der Bahnhöfe und Haltstellen endlich in allen landwirthschaftlichen und verwandten Schulen aufgehängt werden sollte. Bork gab an, Tafeln in 1 Amtsstube (d.h. 2 Locale auf welchem Publikum verkehrt), 3 Wohnungen der Gemeinde-Vorsteher, 1 Gemeindezimmer (Selm). 16 Schulzimmer, 4 Wartezimmer an 2 Bahnhöfen aufhängen zu können. Mindestens 17 Tafeln sind im Frühjahr 1899 angekommen und verteilt worden; dem Wissenszuwachs der Eingesessenen stand nichts mehr im Wege.

Juli 2017
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[1] Ruhr-Nachrichten, Ausgabe Selm, 20.06.2017, S. 15.
[2] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 159.
[3] und folgende zwei Zitate: StA Selm, AB-1 – 164.
[4] und folgendes Zitat: StA Selm, AB-1 – 159.
[5] und folgende Zitate dieses Kapitels: StA Selm, AB-1 – 163.
[6] und alle weiteren Zitate: StA Selm, AB-1 – 159.

 
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