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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Die Mühen der Schiffbarmachung der Lippe 

Christel Gewitzsch

Schifffahrt seit der Frühgeschichte

Das Lippegebiet ist seit der Steinzeit besiedelt und der Fluss wurde als Handelsweg für die für die Bronzeherstellung benötigten Metalle Kupfer und Zinn und für anderes mehr genutzt. Ein Beleg für die frühe Schifffahrt ist die Entdeckung eines Einbaums von mehr als fünfzehn Meter Länge im Herbst 1950 bei Hünxe, dessen Alter der Ausgräber auf mindestens 2.000 Jahre schätzte.[1]

Die Römer nutzten die Lippe um 10 v. Chr. bei ihren Versuchen, ihr Reich bis zur Elbe zu erweitern. Zahlreiche Reste ihrer Militärlager und andere Funden zeugen davon. Im Mittelalter konnten Teile des Flusses befahren werden. Auch Pläne zur Kanalisation  bestanden seit dem 15. Jahrhundert. Die Bestrebungen der Anrainerstaaten, den Wasserweg attraktiver zu machen, scheiterten in den folgenden Jahrhunderten an der notwendigen, aber schwierig zu gestaltenden Zusammenarbeit dieser Staaten.

Ab 1734 produzierte die Saline in Unna so viel Salz, dass sie die Grafschaft Mark, das Herzogtum Kleve und auch Teile des Auslands hätte beliefern können. Da die schlechten Wege den Transport über Land sehr verteuerten, versuchte die Kammer in Kleve, den Ausbau der Lippe voranzutreiben. Aber nicht nur das Salz, auch Holz, Kohle, Getreide etc. sollten verstärkt auf dem Wasser befördert werden. Der Ingenieur Henning erhielt 1735 den Auftrag, die Lippe als auch die Ruhr zu untersuchen und Kostenanschläge vorzulegen. Auf den ersten zwei Dritteln der Strecke von Wesel bis Hamm meinte er, auf der Lippe ohne Schleusen auskommen zu können. Man hatte nur eine größere Anzahl Sandbänke zu beseitigen. [...] Daraus ergab sich, daß bei Hochwasser die Lippe auf dieser Strecke schiffbar war, nämlich bis Haus Dahlen, einem Edelsitze, der sich etwas unterhalb von Lünen befand.[2] Aber die Schiffbarmachung des letzten Drittels  bis Hamm wäre teuer geworden[3] und hätte weiterhin nur für flache Kähne gegolten. So blieb die Schifffahrt auf der Lippe in den Kinderschuhen stecken.

Neuer Schwung

Als der Fluss im 19. Jahrhundert allein auf preußischem Gebiet lag und man sich nicht mehr mit Nachbarstaaten abstimmen musste, lebten die alten Pläne wieder auf. Der spätere Oberpräsident der Provinz Westfalen Vincke ließ 1814 die Verhältnisse an der Lippe erneut untersuchen.[4] Zwei Jahre danach befuhr er den Fluss zusammen mit einigen Sachverständigen, unter ihnen zwei Mitglieder der Handelskammer von Wesel. Der Vorstand dieser Kammer ließ von seinem Sekretär Seib nach der Fahrt eine Denkschrift[5] erstellen, in der er die größten Mängel auflistete und Vorschläge zu ihrer Beseitigung machte. Vincke beauftragte daraufhin Seib mit einer weiteren Untersuchung und stellte danach auf deren Grundlage einen Antrag zur Finanzierung der Lippe-Kanalisation. Per Kabinettsorder genehmigte der König 1819 nicht nur die Schiffbarmachung der Lippe, er bewilligte gleichzeitig rund 218.000 Taler. Vorher – 1817 – waren vom Minister der Finanzen und des Handels die Rechte und Verpflichtungen des Staats und der Ufer-Besitzer [...] zur Regulierung der bisher ganz vernachlässigten polizeilichen Aufsicht über die Lippe in der Strom- und Ufer-Ordnung für den Lippe-Fluß [6] vorläufig festgelegt worden. Gleich nach deren Veröffentlichung begannen Besichtigungsfahrten des Wasserbau-Inspektors, damit von diesem den Ufer-Besitzern die nöthigen Anweisungen und Belehrungen, was dieselben in Beziehung auf diese Verordnung zu thun und zu lassen haben, zur Stelle ertheilt werden.[7]

Der Leinpfad

Da die Schiffe auf der Lippe von Pferden gezogen werden mussten, waren Lein- oder Leinenpfade mit einer Breite von sechs Fuß auf einer Seite des Flusses anzulegen. Der Wechsel der Flussseite – Überschlag genannt – sollte laut Strom- und Uferordnung vermieden werden, doch war das nicht auf der ganzen Länge des Flusses realisierbar. Die Uferbesitzer konnten sich gegen diesen Pfad nicht sperren, hatten aber im Schadensfall das Recht, Ersatzansprüche geltend zu machen. Wenn Brücken über Bäche gebaut werden mussten, bezahlte die Lippe-Schifffahrtskasse die Errichtung und Instandhaltung. Für die Überbrückung von Abzugs- und Fischereigräben kamen die Landbesitzer auf.

Die Freihaltung und Pflege des Leinpfades war besonders wichtig, weil sonst die Leinen nicht ungehindert am Ufer entlang geführt werden konnten. Immer wieder wiesen die Protokolle der Strombefahrungen die Uferbesitzer an, Gehölze – in erster Linie Weidenbäume – abzuhauen. Und dass die Leinpfade nicht als Holzlagerplatz genutzt werden durften, versteht sich eigentlich von selbst, aber auch das musste immer wieder gerügt werden.

Der inzwischen zum Lippe-Schifffahrtsinspektor aufgestiegene Seib aus Wesel schrieb zum Beispiel im August 1824 an Bürgermeister Köhler: Es ist bei mir darüber geklagt worden, daß der Leinpfad längs des Holzlager-Platzes zu Dahl so mit Holz versperrt ist, daß die Leinpferde nicht gehen können; Bei meiner neuerlichen Anwesenheit zu Dahl habe ich mich auch davon überzeugt, daß hier u. da nur mit Mühe passirt werden kann, u. seitdem soll sich der Übelstand noch vermehrt haben.

Ich ersuche daher Ew. Wohlgeboren dienstergebenst, nach Inhalt der Strom u. Ufer-Ordnung die Eigenthümer gefälligst anhalten zu lassen, Ihre Hölzer auf die vorschriftsmäßige Breite von 10 Fuß vom Ufer ohne Aufschub wegzuschaffen, sonst aber die Wegschaffung auf Kosten der Säumigen bewürken lassen zu wollen. [...]

Der Leinpfad darf durchaus u unter keinen Umständen, so wenig wie eine Landstraße, gesperrt werden, dahero ich Ew. Wohlgeboren um Anwendung der nöthig scheinenden polizeylichen Maaßregeln ergebenst u dringenst ersuche.

Ich wünsche besonders, daß die Wegräumung noch vor der nahen Strombefahrung geschehen u dann kein Gegenstand der Beschwerde mehr sein möge.[8]

1836 gab derselbe eine Anzeige des Leinreiters F. Seifers weiter, dem eines seiner Pferde [...] beim Heraufpferden eines Nachen über ein dem Constanz Circkel [Constantin Cirkel] zugehöriges quer im Leinpfade zu Dahl gelegenes Stück Holz gefallen und gleich darauf crepirt war.  

Säuberungen

Holz lag aber nicht nur auf dem Leinpfad, sondern auch an oder in der Lippe und behinderte die Schifffahrt. Der Borker Holzhändler Vincenz Cirkel wurde in den Befahrungsprotokollen immer wieder als Verursacher dieser Störungen genannt. Der Bürgermeister, bzw. Amtmann, erteilte dann die Anweisung, dieses umgehend wegzuschaffen und drohte manchmal die schon oben genannte Erledigung der Arbeit auf Kosten des Eigentümers an, um Nachdruck hinter die Forderung zu setzen.   

Ufersicherung

Der Lippe-Schifffahrtsinspektor war einer der Beamten, die sich auch zwischen den Strombefahrungen um den Zustand des Flusses kümmerten, Beschwerden entgegennahmen  und Anweisungen erteilten, wenn etwas im Argen lag. Ein anderer war der Wasserbaumeister Wesener aus Lünen, der im November 1828 Bürgermeister Köhler an die von höheren Orts erlassene Bestimmung erinnerte, bei Arbeiten zur Ufersicherungen an der Lippe den zuständigen Kribbmeister Hedtmann hinzuzuziehen. Trotz dieses Angebots einer kostenlosen Beratung für die Interessenten – das sind die Uferbesitzer – werkelten diese ohne Anleitung vor sich hin und machten dummes Zeug.

Die Arbeiten zur Ufersicherung bestanden darin, Anschwemmungen und Abbrüche am Ufer zu verhindern. Deshalb waren im ersten Fall Anpflanzungen, die das beförderten, zu entfernen und im zweiten Schutzmaßnahmen vorzunehmen. Diese Aufgabe beschäftigte die Uferbesitzer dauerhaft.

Eine an der Lippe am häufigsten eingesetzte Methode, ist die sogenannte Deckung. Dabei wird das Ufer mit einer Steinschüttung gegen Abspülungen und Abbrüche geschützt. Laut einem Handbuch aus der damaligen Zeit[9] ist diese Methode bei Flüssen mit mäßiger Fließgeschwindkeit durchaus empfehlenswert, doch möchte der Autor die Steinschüttung mit einer Unterlage aus Faschinen[10] verstärkt wissen. Auch dann, so schreibt er, müssen diese Deckungen jährlich überprüft und nach einiger Zeit erneuert werden. Und als wolle er den Wasserbaumeister Wesener unterstützen, fügt er hinzu: Mit der gehörigen Orts- und Sachkenntniß müssen indeß solche Arbeiten geleitet werden; denn sonst können sie nicht allein den Zweck verfehlen, sondern selbst schädlich werden.[11]

Einigen Uferbesitzern an der Lippe wurde diese ständige Arbeit offensichtlich zu viel. Es dauerte manchmal länger als ein Jahr – also über die nächste Strombefahrung hinaus –, bis der Amtmann den Vollzug melden konnte. Manchen war die Materialbeschaffung auch zu teuer. Der mittellose Kötter Küter aus Nordlünen handelte sich wegen seiner langen Untätigkeit nicht nur Ermahnungen der offiziellen Stellen, sondern auch geharnischte Beschwerden seines Ufernachbarn ein, der die eigenen Bemühungen konterkariert sah. Küter konnte sich trotzdem Zeit lassen, da die Uferbesitzer nicht zu den Arbeiten gezwungen werden sollten. Besonders dann nicht, wenn der Schiffsverkehr durch diesen Abbruch nicht behindert wurde. Dieses wurde dem Kötter in dem Protokoll von 1825 bescheinigt.

Erhöhung der Fließgeschwindigkeit

Der oben erwähnte Wesener wurde 1820 für die Strecke Lippstadt-Dorsten zum Wasserbaumeister (oder auch Baukondukteur oder Bauinspektor) ernannt. Ebenfalls 1820 genehmigte eine Kabinettsorder für die Strecke Lippstadt bis Wesel die Einstellung von fünf Kribbmeistern.[12] Der Name kommt von Kribben, auch Buhnen genannt; das sind rechtwinklig zum Ufer aufgeschüttete Erd- und Steindämme, die den Wasserspiegel ansteigen lassen und die Fließgeschwindigkeit erhöhen sollen. Das schnellere Abfließen des Wassers war erwünscht, weil dadurch die Gefahr der Versandung im Unterlauf verringert wurde. An manchen Stellen trug man hohe Uferstellen ab, füllte das Material in den Fluss, verengte ihn so und erhielt gleichzeitig eine größere Wassertiefe.

Zur weiteren Verbesserung wurde der stark mäandernde Fluss vielfach begradigt und mit insgesamt zwanzig Durchstichen verkürzt. In Bork drohte die Lippe an einer engen Schleife durchzubrechen. Constantin Cirkel beantragte deshalb, diesem mit einem Durchstich zuvorzukommen. Im Befahrungsprotokoll von 1825 äußerte sich die Kommission zustimmend, da hierdurch der Schifffahrt ein bedeutender Umweg erspart wird, im Stau des Dahler Wehrs kein Sinken des Wasserspiegels oberhalb zu befürchten, auch, nach dem Durchstich, dem Leinpfade nichts entgegensteht. Trotz dieses grundsätzlichen Einvernehmens dauerte die Realisierung mehr als zwanzig Jahre; aber das ist eine andere Geschichte.

Schleusenbau

Mühlen und Klippen, die den Schiffen im Weg standen, erforderten die größte Anstrengung bei der Schiffbarmachung der Lippe: den Bau von Schleusen. In Dahl und Horst konnten die Schleusen 1823 der Schifffahrt übergeben werden, damit war der Weg bis Lünen frei. In Beckinghausen und Werne nahmen die Schleusen 1824 ihren Betrieb auf.[13]  Mit insgesamt zwölf Lippeschleusen gelangten die Schiffe ab 1831 bis kurz vor Paderborn. Weitere Pläne wurden nicht ausgeführt.

Die Schleusen an der Lippe waren unterschiedlich groß. Drei, die bei Vogelsang, Dahl und Horst, hatten eine Länge von cirka 36 und eine Breite von ungefähr sechs Metern; die kleineren waren 26 Meter lang und 4,5 Meter breit. Mitte der 50er Jahre wurden die Schleusen Beckinghausen, Werne und Stockum vergrößert, so dass nunmehr die durchgängige Passage für Großsegler von Wesel bis Hamm möglich war.[14]

Dezember 2016
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[1] Werner Koppe, Die Lippewasserstraße, Kalkar 2004, S. 22ff.
[2] Walther Kliche, Die Schiffahrt auf der Ruhr und Lippe im Achtzehnten Jahrhundert, Elberfeld 1904, Nachdruck: Bibliolife Reproduction Series, S. 14.
[3] Henning veranschlagte für den Gesamtausbau 137.485 Taler. Kliche, S. 15.
[4] G. Strotkötter, Die Lippeschiffahrt im neunzehnten Jahrhundert, Münster 1896, S. 1ff, urn:nbn:de:hbz:6:1-101357.   
[5] Pro Memoria in Betreff der Lippe und der Schiffahrt darauf nebst Bemerkungen, S. 291, LWL-Digitalisate Adelsarchiv Cappenberg, Amtliche und politische Tätigkeit, 1816-1831 Handakte Steins, Sonstiges. 
[6] Amtsblatt der Königl. Regierung zu Münster, Nr. 24, 1817, S. 217ff.
[7] Strom- und Uferverordnung, S. 221.
[8] StA Selm, AB-1 – 480 und alle folgenden Zitat, falls nicht anders angegeben.
[9] U. C. Gudme, Handbuch der theoretischen und praktischen Wasserbaukunst, 2. Band, Berlin 1828, Google books.
[10] Ufersicherung aus Reisig- und Rutenbündel von 30-40 cm Durchmesser und 2,5-5 m Länge.
[11] U. C. Gudme, Handbuch, S. 148.
[12] G. Strotkötter, Die Lippeschiffahrt, S. 14.
[13] G. Strotkötter, Die Lippeschiffahrt, S. 9.
[14] W. Koppe, Lippewasserstraße, S. 162.
                                                      

 
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