aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Die Vertilgung der Wucherblume

Christel Gewitzsch

Am Schlusse eines jeden Jahres [...] erwarte ich über den Erfolg der genommenen Maaßregeln die ausführliche Anzeige von den Königlichen Regierungen, denen ich, so wie sämmtlichen Localbeamten, ganz vorzügliche Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Gegenstand dringend ans Herz lege. So beendete Oberpräsident Vincke seine achteinhalbseitige Bekanntmachung vom 8. September 1822 im Amtsblatt der Regierung Münster zur Ausrottung der Wucherblume.[1] Diese einjährige Pflanze (Chrysanthemum segetum Lin., im Volksmund auch böse Blume genannt) produziert hunderte von Samenkörnern, die viele Jahre keimfähig im Boden verbleiben und auch im Verdauungstrakt von Rindern und Pferden ihre Keimkraft nicht verlieren. Wird die Wucherblume ihrem Namen gerecht und breitet sich auf einem Acker aus, entzieht sie der Feldfrucht Licht und Nahrung und verursacht große Verluste für die Landwirtschaft. Vom Ministerium des Innern hatte Vincke den Auftrag erhalten, Anordnungen zur Vertilgung der Pflanze zu treffen, dem er hiermit nachkam.

Einige Jahre früher wurden die möglichen Schäden durch die Wucherblume als nicht so dramatisch eingeschätzt. Der Agrarwissenschaftler Johann Nepomuk von Schwerz hatte 1816 vom preußischen Innenministerium den Auftrag erhalten hatte, Westfalen und das Rheinland zu bereisen, um einen Bericht über die bäuerlichen und landwirtschaftlichen Verhältnisse zu erstatten. In diesem Bericht führte er die Wucherblume zwar unter den häufigsten und schädlichsten Unkräutern dieser Gegend  auf, meinte aber, es sei anerkannt, daß sie durch Mergel, wo nicht vertilgt, doch sehr gemindert würde.[2]

Belehrung, Werbung und Strafen

Um sechs Jahre später die Bauern zu stärkeren Anstrengungen zu motivieren, informierte die oben genannte Amtsblattverfügung ausführlich über die Pflanze; wo und unter welchen Umständen sie besonders gut gedeiht und welche Verfahren zu ihrer Ausrottung anzuwenden sind. Um die Mühe des fleißigen Landwirths nicht ins Leere laufen zu lassen, appellierte der Oberpräsident an alle, sich gemeinschaftlich und fortgesetzt dieser Aufgabe zu stellen. Dem Uneinsichtigen und Nachlässigen drohten Zwangsmaßnahmen und Bestrafung. Entweder wurden auf seine Kosten die Pflanzen entfernt oder er musste maximal zwanzig Silbergroschen für jeden nicht gesäuberten Morgen zahlen. Die so angesammelten Gelder sollten ausschließlich für die Arbeiten zur Ausrottung der Pflanze eingesetzt werden.

Prozedere

Auch wenn in dem Schreiben versichert wurde, man ginge davon aus, daß jeder Grundbesitzer, der sein und der Seinigen Wohl kennt und liebt, gerne bereit seyn wird, zur Erreichung des wohlthätigen Zwecks aus allen Kräften mitzuwirken, war man doch nicht so naiv, auf Kontrollen zu verzichten. Vertrauenswürdige Gemeindemitglieder sollten gewählt werden, die im vierzehntägigen Rhythmus die Felder inspizierten. Wurde die Wucherblume dabei entdeckt, bekam der Grundbesitzer oder Pächter die Anweisung, diese unverzüglich auszureißen. Zweimal sollte diese Anordnung wiederholt werden, zwischendurch war der Bürgermeister für die Androhung der Strafe einzuschalten, falls dann immer noch nichts geschehen war, wurde die Strafe sofort vollzogen.

In jedem November erhielten die Bürgermeister eine Aufstellung über die Pflanzenfunde und die ergriffenen Maßnahmen von den Gemeindeaufsehern. Die Berichte gingen über die Landräte an die Regierungen, damit diese den Oberpräsidenten informieren konnten. Von den Landräten erwartete Vincke mit der Berichterstattung weitere Vorschläge zur Verbesserung des Vorgehens, wobei er eine Idee gleich selber einbrachte, nämlich, ob nicht vorzüglich auf dem Lande man sich mit Nutzen der Schulkinder bedienen kann, um unter Aufsicht des Lehrers in unterrichtsfreien Stunden beim Ausjäten der Wucherblumen-Pflanzen zu helfen.

Erste Berichterstattung

Entgegen der Veröffentlichung im Amtsblatt forderte Landrat Schlebrügge schon im April 1823 Informationen über die Ausrottung der Wucherblume von den Ämtern.[3] Ende Juni musste er den Borker Bürgermeister Köhler an die Erledigung seiner Verfügung erinnern, nicht zum letzten Mal bei diesem Thema. Obwohl Köhler offensichtlich nicht vor dem Problem seines Olfener Amtskollegen stand, der seinen Bericht zwar pünktlich abgeliefert hatte, doch dann von Zweifeln geplagt wurde, ob seine Informanten die Pflanze überhaupt richtig identifizieren konnten. Er bat Köhler, ihm doch eine Blume zuzuschicken. Dieser Bitte ist Köhler wohl nicht nachgekommen. Dafür kam nach einigen Wochen in Bork ein Exemplar der Wucherblume aus Olfen an, mit der Bitte, diese an den Landrat zurückzuschicken.

Anfang Juli, bevor die Pflanze von Olfen zugeschickt worden war, hatten insgesamt 23 Männer aus den Bauerschaften die Felder kontrolliert und den Bürgermeister über ihre Funde informiert. In Altenbork waren acht Exemplare entdeckt worden, in Ternsche vier, in Netteberge und  im Dorf Selm je eine Pflanze.  Die Kontrolleure in den Bauerschaften Altlünen, Westerfelde, Ondrup und Beifang fanden keine Wucherblumen. Den Eigentümern der Äcker wurde aufgetragen, die Pflanzen innerhalb von 14 Tagen zu jäten, dann würde eine Nachrevision  stattfinden. Für eine regelmäßige 14-tägige Feldbeschau, wie es im Amtsblatt verlangt wurde, gibt es keinen Hinweis.

Zu dem Bericht darüber an den Landrat gab es Ende des Jahres noch ein kleines Nachspiel.  Zwar hatte Köhler sämtliche Fundstellen in seinem Brief benannt, doch erreichte ihn genau darüber eine Mahnung aus Lüdinghausen. Als Köhler in seiner Antwort nicht weiter darauf einging, drohte der Landrat ihm eine Ordnungsstrafe an, woraufhin der Bürgermeister kapitulierte und alles noch einmal aufschrieb. Auch beim Landrat scheint die Aktenablage nicht immer ganz ordentlich vorgenommen worden zu sein.

Der weitere Verlauf

Von 1824 bis 1843 tauchte die Wucherblume immer wieder in Altenbork auf, einmal auch in Hassel.  Ganz frei von dem Kraut  war Altenbork  nur in fünf Jahren während dieses Zeitraums. Aus den anderen Bauerschaften wurden gar keine Funde mehr gemeldet. 1828 musste Köhler das Ausreißen der Pflanzen auf einem Acker auf Kosten des Grundstückseigentümers in Auftrag geben, weil dieser seiner Pflicht nicht nachgekommen war. Nach einigen Jahren der Ruhe keimte die Blume 1837 auf einem Feld plötzlich in solcher Menge, dass sie nicht anders als durch Abmähen fortzuschaffen war. Gegen diese Methode erhob niemand einen Einwand, wenn sie vor der Samenbildung eingesetzt wurde. Das Ausbringen neuer Samen auf die Felder war auf jeden Fall zu vermeiden.  Im Amtsblatt finden sich dazu sechs Empfehlungen, neben all den anderen Verhaltenshinweisen und Tipps.

Die jahrelangen Bemühungen scheinen nicht ohne Erfolg gewesen zu sein. Im Februar 1843 schrieb Landrat Schmising an den Bürgermeister Stojentin: Der Jahresbericht über Vertilgung der Wucherblume braucht ferner nicht mehr erstattet werden. Sollte dieses Unkraut indessen wieder Überhand nehmen, so erwarte ich davon Anzeige.

Januar 2016
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[1] Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Münster, Nr. 38 vom 21. September 1822, S. 369ff.
[2] Johann Nepomuk von Schwerz, Beschreibung der Landwirthschaft in Westfalen und Rheinpreußen, Stuttgart 1836, Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1836, Münster, S. 182 und 241.
[3] StA Selm, AB-1 – 161.

 
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