Die Borker Schule ist überfüllt
Christel Gewitzsch
In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte sich schon die Gemeinde Selm schwergetan, das Übel der viel zu kleinen Schule schnell zu beseitigen. Den Borkern erging es etwas später nicht viel anders.
Bürgermeister Friedrich Köhler schrieb im Juli 1829 an Landrat Schlebrügge: Die Uberfüllung der hiesigen Schule macht es unumgänglich nöthig, sowohl in Betracht für die Gesundheit der Kinder als auch die beßere Genießung des Unterrichts entweder die Trennung der Knaben und Mädchen, oder Einrichtung einer neuen Klassenschule zu veranlassen.(1) Er schrieb dies unmittelbar nachdem er den Gemeinderat über das Problem informiert hatte. Dieser wollte sich noch nicht entscheiden, hatte keine Meinung zu den Alternativen und fragte sich, wie der amtierende Lehrer, der mit den Schulgeldern bezahlt wurde, entschädigt werden konnte. So lief die Initiative des Bürgermeisters erst einmal ins Leere.
Ziemlich genau ein Jahr später wurde er erneut aktiv und schrieb dem Landrat: Mehrseitig ist kürzlich darüber bittere Klage geführt, daß die hiesige Schule so überfüllt sei, daß mehrere Kinder in derselben gar keinen Platz hätten. Ich habe mich dieserhalb selbst überzeugt und gefunden, daß mehrere Kinder auf dem Boden in der Schule herumlagen und selbst größere, um zu schreiben, solches auf den Stufen zum Katheder verrichten mußten. Mehrere schulpflichtige Kinder besuchen gar nicht die Schule und sind solche vom Lehrer wegen Mangel an Platz zurückgewiesen. Welch ein großes Bedürfniß daher der Neubau einer Schule zu Bork ist, werden Ew. Hochwohlgebohren hierdurch ersehen; damit indeß der Unterricht nicht so sehr leidet, scheint mir vorab die Anstellung eines Unterlehrers, sowie die Miethung eines Zimmers worin die kleineren Schüler unterrichtet würden durchaus Erforderniß, welches zu veranlassen Ew. Hochwohlgebohren gefällig bald Sorgen tragen wollen.
Landrat Schlebrügge schlug vor, erst einmal das Schulzimmer zu vergrößern und später die Anstellung eines zweiten Lehrers zu planen. Der Bau einer Mädchenschule sollte begonnen werden, wenn eine Entscheidung über das Einkommen des jetzigen Lehrers getroffen sei. Für die Übergangszeit sollte der Lehrer einen Gehilfen vorschlagen.
Obwohl man noch nicht genau zu wissen schien, was man wollte, schloss die Gemeinde einen Tauschhandel mit der Witwe Gertrud Schwardwald, geborene Schlierkamp, ab. Die Witwe trat ihr Wohnhaus und den dazugehörigen kleinen Hof ab, dort sollte ein neues Schulhaus gebaut werden, und erhielt dafür die Küsterei und das Schulhaus mit dem Hofraum. Dazu hatte der Landrat aber noch einige Fragen. Er wollte einen Nachweis darüber, dass Frau Schwardwald über das Wohnhaus verfügen konnte, eine offizielle Taxierung der beiden Objekte und die Zustimmung des Gemeinderats zu dem Tauschgeschäft.
Bei der Eröffnung einer zweiten Schulklasse, so der Landrat, käme die Gemeinde auch nicht umhin, die Lehrer mit einer Zulage aus der Gemeindekasse zu versorgen, weil sie sonst ihr Auskommen nicht finden könnten. Im Jahr 1826 z.B. betrug das Einkommen des Lehrers Christian Didon aus der Schulstelle 214 Taler, davon stammten 175 Taler aus dem Schulgeld.
Zum Schluss empfahl der Landrat der Gemeinde, für die Übergangszeit ein Zimmer beim Kötter Constanz Schweer anzumieten und die Kinder aufzuteilen, wie sie es selbst vorgeschlagen hatte.
Im Juli 1831 meldete Köhler, dass der Mietvertrag mit Schweer für monatlich einen Taler und fünfzehn Silbergroschen abschlossen sei und der Lehrer Didon die Entschädigung akzeptierte - er hatte sogar angeboten, den neuen Lehrer unentgeltlich zu beköstigen. Auf den Tauschhandel mit der Witwe Schwardwald wollte sich der Gemeinderat allerdings nicht einlassen. Er war der Meinung, daß der gänzliche Abbruch und demnächstige Vergrößerung des jetzigen Schulhauses nicht so kostspielig sein würde, da alle Materialien wieder benutzt werden könnten, als der Neubau des Schulhauses auf der Baustelle des Hauses der Ww Schwardwald. Der Bürgermeister bat um die Entsendung des Bauinspektors Teuto, damit dieser einen Kostenanschlag für den Schulneubau erstellen konnte und die baldige Ernennung eines Unterlehrers.
Zu dessen Person fügte er noch eine etwas verblüffende Bitte hinzu, nämlich, daß es der Wunsch der Gemeinde ist, daß dieser ein besonders brauchbares und gebildetes Subject sein möge, und will sich die 1. Klasse der Dorf Eingesessenen anheischig machen dem Nebenlehrer außer den im Etat für selbigen bewilligten Gehalt noch eine bestimmte Summe jährlich zahlen, falls derselbe ein geschickter Mann ist und die Kinder derselben in Nebenstunden unterrichten will. Es erscheint nicht ganz unwahrscheinlich, dass der Bürgermeister bei diesem Schreiben auch persönliche Interessen verfolgte. Köhlers drei älteste Kinder waren zu dem Zeitpunkt sieben (Francisca Bernadine), sechs (Pauline) und vier (Friedrich, der spätere Doktor der Medizin) Jahre alt.
Anstelle des Handels mit Frau Schwardwald kam die Gemeinde auf einen Hinweis des Pfarrers Beckmann zurück und wollte nun das Haus der Witwe Kleyhegge ankaufen. Wenn dieses abgebrochen würde, könnte die alte Schule erweitert werden. Der Witwe sollte auf einem anderen Grundstück ein 26 Fuß langes und 22 Fuß breites Wohnhaus gebaut werden. Eine etwas kleinere Ausführung wollte Zimmermann Wilhelm Schlierkamp aus Altenbork für 165 Taler erstellen, wenn er die Dachziegel des alten Hauses verwenden durfte und die Baumaterialien ihm ohne sein Zuthun angefahren würden. Im endgültigen Vertrag mit Frau Kleyhegge war vom Bau des Hauses durch die Gemeinde nicht mehr die Rede. Stattdessen übertrug man ihr ein Grundstück, zahlte für das Wohnhaus 565 Taler und verpflichtete sich, dieses Haus erst nach Ablauf eines halben Jahres abzubrechen.
Mädchen- oder Vorschule?
Von Münster aus wurde zu diesem Zeitpunkt (September 1831) daran erinnert, dass das Ministerium für Schulangelegenheiten Wert darauflege, die Teilung der Schulkinder nach Geschlecht und nicht nach Klassen vorzunehmen. Die münsterische Schulverordnung von 1801 würde dies sogar ausdrücklich vorschreiben, wenn nicht besondere Gründe dem entgegenstünden. Schlechtendal aus der Abteilung des Innern führte aus, wenngleich die Möglichkeit, die Kinder besser zu unterrichten, wenn sie nach Klassen getheilt sind, nicht bezweifelt werden kann, so treten doch in der Wirklichkeit allerlei hemmende Umstände dem guten Erfolge entgegen, so daß in der Regel diejenigen Schulen, in welchen die Kinder von Anfang bis zu Ende von einem und demselben Lehrer unterrichtet werden, den Vorzug vor diejenigen haben, in welchen die verschiedenen Klassen unter mehreren Lehrern vertheilt sind.
Der Borker Schulvorstand allerdings blieb bei seinem Vorhaben, nach Klassen und nicht nach Geschlecht aufzuteilen. Die Gründe führte er in einer Anlage genauer aus, die leider in der Akte fehlt. Zur Bekräftigung dieser Entscheidung informierte Köhler den Landrat über die bereits erfolgte Zuteilung eines Unterlehrers und bat, diesen gleich mit dem Unterrichten beginnen lassen zu dürfen.
Nach nur eineinhalb Jahre musste Köhler schon wieder wegen totaler Überfüllung des für die kleinere Jugend gemietheten Locals vorstellig werden. Die Kinder säßen alle gepreßt zusammen ... und dieserhalb das Ungeziefer allen Kindern mitgetheilt wird. Manche Eltern hatten sich schon beschwert und angedroht, die Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken. Der Pastor, darauf angesprochen, sah sich außerstande, daran etwas zu ändern, solange der geplante Neubau nicht vollendet sei. Köhler klagte, beim Landrat ohne Erfolg um Genehmigung des Baus nachgesucht, aber keine Antwort erhalten zu haben. Man möge doch den vom Zimmermeister Jeckmann anzufertigen Bauplan und Kostenanschlag endlich nach Bork schicken, um die Auftragsvergabe vornehmen zu können.
Schlebrügge antwortete nur, der Zimmermeister sei mit der Anfertigung des Bauplans beauftragt und wies den Bürgermeister kurz und knapp an, das Schulocal ausscheuern und reinigen zu lassen. Köhler schrieb den Zimmermann nun selbst an, damit dieser ihm umgehend den Kostenanschlag für den Neubau zusandte und forderte ihn auf, zur Besichtigung des Bauplatzes einen Termin mit dem Pastor zu machen. Nachdem ein Monat vergangen war, fiel Landrat Schlebrügge ein, dass er bei einer seiner Verfügungen über die Höhe der Schulzimmer ein altes Festmaß herangezogen hatte und die Zimmer nicht 13, sondern 12 Fuß hoch sein müssten. Köhler möge doch darüber schleunigst den Unternehmer informieren.
Querschläger
Im April 1833 schickte der Oeconom Haverkamp mit einigen Gleichgesinnten einen Brief an die Königliche Regierung Abteilung des Innern, in dem er dafür plädierte, dem Verding des Schulbaus die Genehmigung zu verweigern. In drei Punkten sei dieser Bau nicht zulässig, so meinten sie. Der gewählte Platz würde den Zugang zu den Feuerlösch-Notteichen behindern, die Schule stünde zu nah an der Kirche und die Bedingung für die Anfuhr des Baumaterials sei unzulässig. Es ging dabei um zulässige Entfernungen. In allen drei Punkten konnte der von Münster angeforderte Bericht der landrätlichen Behörde diese Bedenken zurückweisen.
Die Regierung erklärte daraufhin die Einwendungen für unstatthaft und unzulässig, denn endlich bekämen, nach mehreren vergeblichen Versuchen, 250 Schulkinder den dringend benöthigten Bau. Der Verding sei sehr vortheilhaft ausgefallen und die Schule nicht zu nah an der Kirche, auch seien die Notteiche bei Feuergefahr gut zu erreichen. Die gestellte Bedingung, Baumaterial aus der nächsten Umgebung zu beziehen, sei nötig gewesen, da dort genug zur Verfügung stand und so den Eingesessenen lange Fuhren erspart blieben.
Der Landrat gab die Entscheidung weiter und beauftragte Köhler, den Unternehmer, jetzt war von Schlierkamp die Rede, aufzufordern, den Bau so voranzutreiben, damit der Unterricht darin mit dem nächsten Winterkurs beginnen konnte.
Neue Probleme
Pfarrer Böckmann meldete 1835 dem Bürgermeister erneut, daß der innere Raum der beiden hier im Dorfe vorhandenen Schullokale zu beschrenkt und die sich sehr vermehrte Zahl der Schüler darin keinen Platz finden könnten. Der Schulvorstand wurde zusammengerufen, um sich vor Ort ein Bild von dem Übelstand machen zu können und dieses Mal einigte man sich schnell. Die Sitz- und Schreibbänke wurden kurzerhand als zu breit betrachtet und der Abstand zwischen den Bänken als zu groß. Zimmermeister Lackmann erklärte, die Verkürzung ohne Nachteil für die Kinder vornehmen zu können und die Herren beschlossen, diese Arbeit während der nächsten Ferien erledigen zu lassen.
Das zweite Problem konnte nicht so schnell aus der Welt geschafft werden. Die westliche Giebelseite war vom Schlagregen so durchfeuchtet, dass die Gesundheit der Kinder gefährdet war. Um den Regen abzuhalten, sollte eine Schieferbekleidung angebracht werden. Der Gemeinderat stimmte aus Kostengründen dagegen, wollte vielmehr einen Kalkbewurf auftragen lassen. Die Regierung war sich zwar der Nutzlosigkeit dieses Tuns sicher, erwartete darüber hinaus eine weitere Schädigung der Wand, die dann in absehbarer Zeit eine größere Reparatur mit hohen Kosten erforderlich machen würde, wollte die Gemeinde in ihrer Handlungsfreiheit aber nicht beschränken.
Der Landrat riet dem Gemeinderat, Maurermeister Zangerl zu fragen, ob er die Bedenken der Regierung ausräumen könnte. Das konnte er nicht und schlug stattdessen den Bau einer massiven Wand vor. Damit meinte der Gemeinderat zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können, denn so könne der sehr beschränkte Raum um zwei bis drei Fuß verlängert werden. Doch bevor aus Münster die Ablehnung dieses Plans eintraf, nahmen die Borker aus Kostengründen von dieser Idee Abstand.
Da nun alle Lösungen vom Tisch waren, gab die Regierung dem Landrat auf, aus Rücksicht auf die Gesundheit der Kinder eine Beseitigung der Feuchtigkeit auf die eine oder andere Weise, eine Beschichtung der Wand oder deren Abbruch und Neubau, ausführen zu lassen. Die Anordnung der Staatsbehörde würde genügen, eine Zustimmung der Gemeinde oder des Schulvorstandes sei nicht nötig. Schmising ging den Weg des geringsten Widerstands und bestimmte, nach Rücksprache mit dem Bauinspektor, erst die Steinfugen gründlich auszuschlagen und dann einen tüchtigen Kalkbewurf aufzubringen. Irritiert zeigte er sich etwas später darüber, dass im Kostenanschlag des Zangerl von zwei Wetterseiten die Rede war. Bürgermeister von Stojentin klärte dies auf. Auch ein Teil der Südseite sei durchfeuchtet und müsse ebenso behandelt werden.
Der Lehrer, der diese misslichen Zeiten bewältigen musste, war der bekannte spätere Dorfchronist Christian Didon. Im November 1820 war Didon die Schul- und Küsterstelle in Bork übertragen worden. Seine erste Anstellung hatte er am 13. Februar 1817 in Roxel angetreten. Im September 1843 suchte Didon um seine Pensionierung nach, die ihm ab Juni 1845 gewährt wurde.
Sein Nachfolger wurde der Lehrer Kranz, der bisher als Unterlehrer gearbeitete hatte. An seine Stelle trat der Schulamtssubstitut Rande. Kranz starb schon 1850. Ihm folgte am 1. Dezember 1850 der Schulamtskandidat Wilhelm Sanders aus Bork. Rande war 1847 von der ersten Borker Lehrerin Clara Naaber anlässlich der Einrichtung der Mädchenklasse abgelöst worden. Sie arbeitete bis zu ihrem Tode 1868 als Lehrerin in Bork.(2)
April 2022
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1. und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 232.
2. siehe: Lehrerinnen in Bork >