aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Hugo Brüning - Nachfolger auf Botzlar [1]

Dieter Gewitzsch

In ihrem Testament bestimmten der Ökonomierat Wilhelm Brüning und seine Frau Christina, geb. Hagedorn, im Mai 1871, dass der Längstlebende von ihnen Erbe des zuerst Verstorbenen sein solle. Erst nach dem Tod beider Eltern würde der „mittlere“ Sohn, Hugo Brüning, alleiniger Erbe. Hugo wurde aufgelegt, dem älteren Bruder Rudolph Aktien der Zechen Mark und Vollmond zu übereignen[2] und dem jüngeren Bruder Georg 5.000 Taler in bar zu zahlen.

Als sie ihren „freien und wohlüberlegten Willen“ der Gerichtsdeputation in Lüdinghausen übergaben, waren Wilhelm Brüning 63 und Christina Hagedorn 54 Jahre alt. Der erstgeborene Sohn, der 35-jährige Rudolph Brüning, war inzwischen „Königlicher Bergassessor“ in Bonn und stand kurz vor seiner Verheiratung mit Fräulein Lydia Stens. Georg Brüning, mit 19 Jahren der jüngste der drei Söhne, befand sich noch in Ausbildung. Nach dem Willen der Eltern sollten ihm – bis er ein besoldetes Amt übernimmt – jährlich 500 Taler gezahlt werden.[3]

Schüler der Ackerbauschule Botzlar

Hugo Brüning - Foto Privatbesitz, Repro dg

Anders als die Brüder zog es den am 20. April 1840 auf Botzlar geborenen Hugo Brüning nicht „in die weite Welt“. Bis zur Sekunda besuchte er das Arnsberger Gymnasiums und war ein Jahr in einem Banquier Geschäft zu Münster beschäftigt, bevor er nach Hause zurückkehrte. Am 1. Oktober 1856 trat Hugo Brüning im Alter von 16 Jahren als Zögling in die von seinem Vater auf dem Gut Botzlar betriebene Ackerbauschule ein. In den jährlichen Nachweisen der Schule ist er bis 1858 als Sohn des Landwirts Brüning, wohnhaft auf Botzlar, mit dem Vermerk: zahlt kein Honorar gelistet.[4] Nach eigenem Bekunden[5] verblieb er drei Jahre auf der hiesigen Ackerbauschule und besuchte für ein Jahr die landwirtschaftliche Akademie Poppelsdorf.[6] Seine Militärpflicht leistete Hugo Brüning als einjähriger Freiwilliger bei dem westfälischen Kürassier Regiment, Nr. 4 ab. In den 1860er Jahren blieb er auf dem Gut Botzlar und befasste sich über Jahre mit der – wie er sagte – schwierigen Verwaltung der Güter.

Oberverwalter auf dem Gut seines Vaters

Personenstandsverzeichnis Gemeinde Bork - Stadtarchiv Selm, Foto dg

Nach Auskunft seines Vaters führte Hugo im Frühjahr 1867 die Geschäfte eines Oberverwalters. Wilhelm Brüning stritt zu der Zeit mit dem Borker Amtmann Föcker über die Frage, ob das von seinem Sohn benutzte Reitpferd chausseegeldpflichtig sei. In seiner Beschwerde an die Bezirksregierung argumentierte der Vater mit der Größe und Lage seines damaligen Gutsbetriebs:[7]

Ich bewirthschafte die Güter Botzlar und Berge, die unmittelbar aneinandergrenzend, ein Areal von circa 1000 Morgen Acker und Wiesen umfassen und einen lang gezogenen Streifen von etwa ¾ Stunden Länge bilden. Das Gut Botzlar wird von der von Bork nach Selm führenden Chaussee durchschnitten, die gleichzeitig einen Theil des einzigen Fahrweges von Botzlar zum Gute Berge bildet.

Zu einer guten und gewissenhaften Aufsicht sei für den Oberverwalter ein Reitpferd notwendig, das ohne Zweifel zu dem ‚wirthschaftlichen Betriebe‘ gehöre und von der Maut befreit werden müsse.

Bewerbung um die Stelle des Amtmanns in Bork

Man mag sich wundern, dass Hugo Brüning, der nach den Worten seines Vaters eine leitende Funktion auf dem Gut ausfüllte, sich 1869 auch um die Stelle des Amtmanns in Bork bemühte. (Vgl. dazu)
Warum schickte die Familie den einzigen auf dem Gut verbliebenen Sohn in das Rennen um ein öffentliches Amt? Die mit dem Posten verbundenen Einkünfte konnten es nicht sein, denn Vater Brüning erklärte, dass der Sohn das Amt auch als Ehrenamt übernehmen wolle. Ein besonderes Interesse des Bewerbers an der Amtsverwaltung war nicht bekannt, aber es gab die Einschätzung des Landrats, dass Wilhelm Brüning die treibende Kraft sei. Den Sohn beschrieb v. Landsberg als vom Vater abhängig und rechtlich nicht selbstständig.

Familie Brüning hatte Erfahrungen mit öffentlichen Ämtern. Hugos Großvater, Johann Heinrich Brüning, war von 1809 bis 1840 in mehreren Konstellationen Bürgermeister der Gemeinden Vorhelm,  Enninger und Sendenhorst, bevor er 1840 von seinem Sohn Franz Anton, dem jüngeren Bruder des Pächters auf Botzlar, abgelöst wurde. Hugo hatte also einen langjährigen Amtmann zum Onkel, der als erfolgreich galt und bis 1895 im Amt blieb. Die Brünings waren über die Provinzgrenzen hinaus gut vernetzt. Großvater Johann Heinrich hielt z. B. dauerhaft Kontakt zum landwirtschaftlichen Hauptverein in Münster und führte auch die Söhne Wilhelm und Franz Anton in diese Kreise ein. Hugos Vater, der Ökonomierat Wilhelm Brüning, engagierte sich im Amt Bork und auch kreisweit in verschiedenen Gremien, während es Wilhelms Bruder, Hugos Onkel Franz Anton, 1851 in die „große Politik“ zog. Am 5. April des Jahres trat der Onkel für die „Klerikalen“ zu einer Nachwahl zur Zweiten Kammer des preußischen Landtags an und wurde im Wahlkreis Beckum, Lüdinghausen und z.T. Coesfeld  mit 97 Stimmen nahezu einstimmig gewählt.[8] Franz Anton Brüning behauptete sein Mandat bis 1861. In Berlin schloss er sich dem „Centrum“ an, später der „katholischen Fraktion“.[9] Länger – wenn auch mit Unterbrechungen – war Franz Anton Brüning Mitglied des Westfälischen Provinziallandtags, dem er von 1854 bis 1892 angehörte. Für gut zehn Jahre war der hiesige Abgeordnete im preußischen Landtag ein enger Verwandter der „Brünings zu Botzlar“.

Man darf davon ausgehen, dass der Name „Brüning“ ein gewisses Gewicht hatte und Vater Wilhelm sich dessen wohl bewusst war. Nach Einschätzung des Landrats v. Landsberg war es tatkräftiger väterlicher Einflussnahme zu verdanken, dass sich viele Mitglieder der Amtsversammlung in Bork für die Ernennung seines Sohnes Hugo aussprachen. – Allein, es half nichts. Hugo blieb Verwalter auf Botzlar. Zwei Jahre  später (1871) verfügten die Eltern testamentarisch zu Gunsten ihres zweitältesten Sohnes.

Familie Hugo Brüning

Elise Brüning geb. Knepper - Foto Privatbesitz, Repro dg

Im Alter von gerade 35 Jahren, heiratete Hugo Brüning 1875 die zwölf Jahre jüngere Elise Knepper.[10] Das Paar hatte vier Kinder, die zu Botzlar geboren wurden: Heinrich (1876), Wilhelm (1877), Lydia 1879 und Georg (1880).[11] Der älteste Sohn verstarb schon als Säugling, Wilhelm wurde Apotheker und ließ sich beruflich in Schüttorf nieder und der jüngste Sohn Georg starb 1918 in seinem vierten Jahr als Soldat an Tuberkulose. Tochter Lydia heiratete Dr. Bernhard Hechelmann, der zuerst Amtmann in Erwitte und später Bürgermeister in Essen-Steele war.

Haus "Altenbork 85" jetzt Bahnhofstraße 15 - Foto dg, Jan 2016

Das Fehlen eines Nachfolgers aus der Familie hat Hugo Brüning mutmaßlich veranlasst,[12] die Bewirtschaftung des Gutes Botzlar aufzugeben und 1889 als Rentier nach Bork zu ziehen, wo die Familie das Haus „Altenbork 85“ mit der heutigen Adresse Bahnhofstraße 15 bezog. 1895 verkaufte Brüning das Haus an die katholische Kirchengemeinde Bork[13] und verlegte 1896 den Wohnsitz der Familie nach Münster. Hugo Brüning starb dort 1906. In den Adressbüchern der Stadt Münster für die Jahre 1910 und 1912 ist seine Frau Elise unter dem Eintrag Brüning, Hugo, Ww. d. Rentn., Brüderstraße 8 verzeichnet.[14]

März 2017
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[1] Hugo Brüning, * 20.04.1840 in Selm, † 18.02.1906 in Münster. – Die familiengeschichtlichen Angaben durften wir den Aufzeichnungen von Albert Brüning (1975) und Ralph Brüning entnehmen.
[2]
Die Brünings verfügten über10 Stück Aktien der Zeche Mark à 250 Taler und 37 Stück Aktien der Zeche Vollmond zu je 200 Talern.
[3]
... aber in keinem Falle länger als bis zum 31. Dezember 1878 ..., LAV NRW W – Kreisgericht Lüdinghausen II, Nr. 161 Testament W. Brüning.
[4]
GStA PK I. HA, Rep. 164 A, Nr. 61 Bd. 3 Landesökonomiekollegium.
[5]
LAV NRW W, Kreis Lüdinghausen 1107 - Bewerbung vom 06.10.1869 um die Stelle als Amtmann in Bork, vgl. aktenlage.net: Foecker geht, Döpper kommt. 
[6]
Die Landwirtschaftliche Akademie in Bonn-Poppelsdorf, die Vorläuferin der heutigen Landwirtschaftlichen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn wurde 1847 als "Landwirthschaftliche Lehranstalt" gegründet und trug seit 1861 den offiziellen Namen "Königlich Preussische Landwirthschaftliche Akademie". – digital.zbmed.de, 23.12.2016. 
[7]
LAV NRW W, Regierung Münster, Abt. II, 18_9 – Schreiben vom 26.03.1867. 
[8]
Bernd Haunfelder, Die politischen Wahlen im Regierungsbezirk Münster 1848 – 1867, Bd.1, S. 165.
[9]
Franz Lauter, Preußens Volksvertretung in der Zweiten Kammer und im Hause der Abgeordneten vom Februar 1849 bis Mai 1877, Nr. 300, S. 25. 
[10]
Elise Brüning geb. Knepper, *11.06.1852 zu Werl, ∞ 25.05.1875, † 1943 in Münster.
[11]
Heinrich Brüning, *14.02.1876, †10.05.1876; Wilhelm Brüning, *26.07.1877, †21.07.1843 in Hopsten Kr. Steinfurt; Lydia Hechelmann geb. Brüning, *19.01.1879, †1967; Georg Brüning, * 01.12.1880, † 04.08.1918. 
[12]
Albert Brüning, Geschichte des Schulzenhofes Brüning und seiner Familie zu Enniger, als Manuskript gedruckt, Bonn-Bad Godesberg 1975, S. 124. 
[13]
Franz-Josef Schnieder, Handwerk, Handel und Gewerbe in Bork an der Lippe, S. 122.
[14] Adressbuch der Stadt Münster 1912, Digitale Sammlung der ULB Münster, urn:nbn:de:hbz:6:1-110463.

 
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