aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Hoher Besuch auf Botzlar 1851[1]

Dieter Gewitzsch

Im Juni 1851 traf man in Berlin Reisevorbereitungen. Der Präsident des Landesökonomiekollegiums[2], Ludolph von Beckedorff[3], sollte nach Westfalen reisen und neben anderen Wilhelm Brüning treffen, um über die Einrichtung einer Ackerbauschule zu verhandeln. Dessen Pläne hatten das Landwirtschaftsministerium erreicht, das sich vor der Reise mit dem Ökonomiekollegium vor allem über die finanziellen Bedingungen abstimmte. Oberregierungsrat Kette entwarf einen Brief an Brüning, der dem Präsidenten mitgegeben wurde.

Botzlar in ungeduldiger Erwartung

Gegenüber den Berliner Behörden zeichnete Brüning mehrmals mit "vollem Titel". - © GStA PK

In Selm wollte Brüning, dass die Sache nicht unnöthig in die Länge gezogen werde. Unsicher, ob seine Vorstellungen von den Berliner Behörden weitergereicht wurden, sandte er seine Unterlagen direkt an das Ökonomiekollegium und warb nicht ungeschickt für sein Vorhaben: Er habe sich – so Brüning – sowohl gegenüber dem westfälischen Oberpräsidenten von Duesberg als auch dem Direktor des Landwirtschaftlichen Hauptvereins Jonas bereit erklärt, nach dem Fehlschlagen so vieler Versuche welche die Gründung einer Ackerbauschule im Regierungs-Bezirke Münster bezweckten, ... selbst auf dem Gute Botzlar eine derartige Anstalt zu errichten. Den Landsleuten solle die Wohltat nicht verloren gehen, welche eine ... [Ackerbauschule] einem großen Landstriche nothwendig gewähren müsse. Brüning wiederholte seine Bitte um baldige Rückäußerung ..., um mit den so bedeutenden Vorarbeiten respective Neubauten vorgehen zu können.

Drei Tage später legte er nach und bat mit Schreiben vom 24. Juni 1851, dem Präsidenten des Landesökonomiekollegiums vorgestellt zu werden: Er wolle mündlich die Sache in Betreff der Anlage einer Ackerbauschule ... verhandeln. Das Treffen fand im Juli des Jahres statt.

Beckedorff will Botzlar in Betrieb sehen

Über den Besuch berichtete Beckedorff seinem Kollegium und dem Ministerium:

Am 15 ten Juli in Münster angekommen, erfuhr ich sofort durch den Director des landwirtschaftlichen Central-Vereins, Herrn General-Commissarius Jonas, daß der Herr Brüning schon vor einigen Tagen in der Erwartung mich bereits anwesend zu finden, nach Münster gekommen sei und gebeten habe, ihn von meiner wirklich erfolgten Ankunft unverzüglich zu benachrichtigen. Da es indessen meine Absicht war, nicht blos seine Person, sondern auch sein Gut, seinen Hof, seine Felder, seine Wirthschaftseinrichtung, seinen Viehstand und wo möglich seine häuslichen Verhältnisse kennen zu lernen; so beschloß ich seinem Besuche zuvorzukommen und schon am folgenden Tage mich nach Botzlar zu begeben. Ich theilte diesen Entschluß dem Herrn Ober-Präsidenten mit, der mir noch am nämlichen Tage auch die persönliche Bekanntschaft des Lüdinghausener Landraths, Herrn Grafen von Schmising verschaffte, und am folgenden Morgen früh fuhr ich in Begleitung des Herrn Jonas, nach Lüdinghausen, wo sich uns der Graf Schmising anschloß, und von da mit beiden nach Botzlar.

Leider war aber das Wetter der Reise nicht günstig. Ein Regenguß folgte dem anderen und unter Platzregen langten wir in Botzlar an.

Botzlar kann sich sehen lassen – und der Pächter auch

Wir fuhren über das Pflaster des langen Hofes, an dessen beiden Seiten die Wirthschaftsgebäude belegen sind, und welcher ungeachtet des schlechten Wetters ein reinliches und ordentliches Aussehen zeigte. Am Ende desselben liegt das zweistöckige massive Wohnhaus auf einer rings von einem breiten Wassergraben umgebenen nur durch einen schmalen Damm zugänglichen Insel.  Das Ganze hat das Ansehen eines kleinen Edelhofes.

Herr Brüning empfing uns mit freundlicher Aufmerksamkeit. Er ist ein Mann in seinen besten Jahren, groß, schlank, rüstig und von gewinnendem Äußeren und dem unverkennbaren Ausdruck eines offenen und geraden Characters.

Da der Himmel sich aufzuklären schien, machten wir uns bald hinaus, um das Feld zu besichtigen; indessen trieb uns ein neuer Regenschauer wieder nach Hause, und so habe ich nur den Theil des Feldes und der Wiesen in Augenschein nehmen können, der unfern des Gehöftes liegt. Das Wintergetreide stand nach dem Maaßstabe dieses Jahres recht gut und die Rieselwiesen versprachen einen reichlichen zweiten Schnitt. Das Ganze machte einen günstigen Eindruck und ließ auf einen thätigen und verständigen Wirth schließen, und die Unterhaltung mit ihm bestätigte dieses Urtheil.

Herr Brüning ist den Fortschritten des Landbaues mit Aufmerksamkeit und Nachdenken gefolgt, hat sich ein unbefangenes praktisches Urtheil bewahrt und von den neueren Entdeckungen und Methoden sich angeeignet, was seinen Verhältnissen und Mitteln angemessen war.

Schon unterweges äußerste sich Herr General-Commissarius Jonas mit großem Lobe über ihn und nannte ihn den bei weitem intelligentesten Landwirth der ganzen Gegend. Eben so günstig lautet das Urtheil des Landraths Grafen Schmising. Ich will mir erlauben, es wörtlich hier aus einem über den Brüning an den Herrn Staats-Minister und Ober-Präsidenten von Düesberg erstatteten Berichte, der mir zur Einsicht vorgelegen, zu entnehmen. Es lautet so:

Brüning im Urteil des Lüdinghauser Landrats 

„Der Oeconom Brüning zu Botzlar, ein Sohn des als tüchtiger Landwirth meines Wissens stets gerühmten und im vorigen Jahre verstorbenen Bürgermeisters Brüning in Enniger, Kreises Beckum, hat, wie mir bekannt, das Gymnasium in Münster besucht und später mehre Jahre der Oekonomie des Freihernn Brencken auf dem Gute Erpernburg im Kreise Büren vorgestanden, ist demnächst durch Heirath in den Besitz eines ansehnlichen Kapitalvermögens gelangt, als Pächter auf das im hiesigen Kreise zwischen Borck und Selm belegene, dem Grafen von Landsberg auf Velen gehörige Gut Botzlar gezogen und war als solcher schon, wie ich glaube, einige Jahre lang etablirt, wie ich Ende des Jahres 1839 die hiesige Landrathsstelle antrat.“ …

„In den ersten Jahren meines Hierseyns habe ich mehrfach gegen seine Wirthschaftsführung Bedenken äußern und für seine Zukunft ein schlechtes Prognosticon stellen gehört. Die Umgestaltung der zeither in Botzlar betriebenen altherkömmlichen Oekonomie gefiel nicht und ward bekrittelt und die Unternehmung mehrer Bauten für den Brennerei-Betrieb und deren Einrichtung selbst schien zu gewagt und nicht entsprechend. Man wollte deshalb auch seinen Ansichten in den landwirthschaftlichen Vereinen nicht Geltung schenken.“ …

„Indessen hat sich jetzt die Meinung über ihn verändert, man überzeugt sich, daß seine Wirthschaft guten Fortgang hat und sich hebt und daß er stets neue Anlagen – zur Zeit an den Wiesen – unternimmt.“

„Ich glaube deshalb, daß er jetzt überall, auch bei dem schlichten Landmann, für einen guten Oeconom gilt.[4]

Ich selbst … lege auf Brünings Ansichten über landwirthschaftliche Gegenstände großes Gewicht. In dieser Rücksicht habe ich ihn auch bei der Königlichen Regierung im Jahre 1846 in Vorschlag gebracht als Taxator für die beim Bau der Münster-Hammer Eisenbahn erforderlichen Expropirations-Verhandlungen und habe, wie ich diese leitete, ihn bewährt gefunden. Auch später noch habe ich, als Vormund mit der Administration großer Güter beschäftigt, in wichtigen landwirthschaftlichen Fragen mehrfach ihn bei den Lokalbesichtigungen zugezogen, seine Gutachten mir erbeten und bin ich diesen gern gefolgt."

Meiner Meinung nach ist demnach p. Brüning als praktischer Landwirth zur Leitung einer Ackerbauschule auf dem meiner Ansicht nach auch zu solcher Schule wohl geeignetem Gute Botzlar befähigt.“

„pp Brüning ist ein Mann von Energie, der bei streng sittlichem religiösem Wandel und erbaulichem Familienleben seine Eleven im Sinne einer sorgfältigen Erziehung strenge überwachen, zur Thätigkeit anhalten und nicht verweichlichen, aber denselben auch entsprechende Pflege und Beköstigung zukommen lassen wird. In wiefern er aber die Gabe der Lehre hat, ob er in den verschiedenen Wirthschaftszweigen selbst Unterricht ertheilen kann, vermag ich nicht zu beurtheilen. Mir haben seine Vorträge (:diese sind bisweilen auch auf dem landwirthschaftlichen Vereine etwas docirend:) stets verständig erschienen und ist er, wie ich hieraus entnommen, in den Werken der landwirthschaftlichen Klassiker sehr zu Hause.“

Prüfung bestanden: Keine Bedenken gegen den Unternehmer Brüning

Soweit der Graf Schmising, der selbst, nach des Herrn Düesberg Urtheil, ein sehr ehrenwerther und gewissenhafter Mann und ein besonders umsichtiger und thätiger Beamter ist. Ich selbst habe in dem freilich nur 6stündigen Zusammenseyn mit Herrn Brüning Nichts zu bemerken Gelegenheit gehabt, was nicht dem obigen günstigen Urtheile entspräche. In den Geschäftsverhandlungen war er bestimmt, klar, offen und sicher; aber auch in der übrigen Unterhaltung die, namentlich bei Mittagsmahle, an dem noch zwei benachbarte Geistliche Theil nahmen, lebhaft und mannichfaltig geführt wurde und sich auf landwirthschaftliche, staatsoeconomische, politische, sociale und selbst theologische Fragen in buntem Wechsel ausdehnte, zeigte er Einsicht, richtiges Urtheil, selbstständige Ansicht und Gewandtheit des Geistes. Gegen seine Persönlichkeit wird daher wohl ein Bedenken nicht stattfinden.

Dezember 2015
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[1] GStA PK, I. HA, Rep. 164 A Landesökonomiekollegium, Nr. 61 Bd 2. – Korrespondenz und Berichte.
[2]
Das Landesökonomiekollegium war ein regelmäßiger Beirat des Landwirtschaftsministeriums für technische und ökonomische Angelegenheiten der Land- und Forstwirtschaft und die Zentralstelle der landwirtschaftlichen Zentralvereine, ab 1894 der Landwirtschaftskammern der Provinzen. Es setzte sich aus ernannten und gewählten Mitgliedern (Räte des Ministeriums; Wissenschaftler und Landwirte, fast ausschließlich Gutsbesitzer) zusammen. – GStA PK, Kurzanalyse im Findbuch des Bestandes I. HA, Rep. 164 A Landesökonomiekollegium, Dräger 1964. 
[3] Ludolph von Beckedorff war seit 1842 Präsident des Landesökonomiekollegiums. Vgl. zu seiner Tätigkeit im preußischen Kultusministerium auf "aktenlage.net": So ein bißchen Bildung … 
[4]   * Anmerkung des Berichterstatters: Als Beweis dafür dient, daß er kürzlich zum Director des Lüdinghausener landwirthschaftlichen Zweigvereins erwählt ist.

 
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