Kartoffelkrankheit 1845 ff.
Dieter Gewitzsch
"Fängt es nicht so an, daß zuerst kleine braune Flecke auf den Blättern erscheinen? Die es gesehen haben, behaupten, daß sich zuerst das Kraut mit kleinen braunen Flecken bedeckt und daß dann ..."
"Nein", sagte Martin. "Zuerst riecht man's."
Liam O'Flaherty, Hungersnot, Zürich 1965.
Das mehrjährige Misslingen der Kartoffelernte verursachte in Irland in der Zeit von 1845 bis 1849 eine Hungersnot, in deren Verlauf mindestens eine Million Menschen starben. Das war damals jeder achte Bewohner der Insel. Die Emigration, die schon zuvor begonnen hatte, wurde nun zur Flut. In den Jahren bis 1854 verließen jährlich 200 000 Menschen das Land.[1]
Ein mysteriöser Pilz (Phytophthora infestans) hatte die Pflanzen befallen[2] und verbreitete sich auch auf dem europäischen Festland. Schon im Spätsommer 1845 waren die Behörden des Kreises Lüdinghausen mit dem Problem befasst. Andernorts gemachte Erfahrungen wurden auf den Verwaltungswege weitergeben, aber auch „Mittel“ vorgestellt und zum Ausprobieren empfohlen.[3] Die Amtsträger waren angewiesen, das Auftreten der Krankheit im eigenen Bezirk geordnet zu beobachten und zu beschreiben. Zur Aufklärung und zum Erfahrungsaustausch boten die Versammlungen der erst kürzlich gegründeten landwirtschaftlichen Vereine die geeigneten Treffpunkte. Am 1. September 1845 beriet der Kreisverein Lüdinghausen vorrangig zum Thema „Kartoffelkrankheit“. Für den Landrat ein Anlass, die kreisangehörigen Gemeinden in einem vierseitigen Bericht über Versammlung zu informieren und zur Berichterstattung aufzufordern:
Was meinen Wissenschaftler, was sagen die Betroffenen?
Der Kreisverein habe sich zunächst mit den Ansichten des Professors Morren aus Lüttich[4] befasst, dann hätten die Mitglieder die in der Extrabeilage des Westfälischen Merkurs abgedruckten Auffassungen des Wissenschaftlers mit ihren eigenen Beobachtungen verglichen. Einige konnten Morren folgen, andere widersprachen. Man diskutierte die ersten Anzeichen der Krankheit und vermutete, dass sich der Befall zuerst am Laub zeige, dass dann sofort abgeschnitten werden müsse. Dem stand entgegen, dass auch unter ganz grünem Strauche schadhafte Frucht gefunden wurde. Laub und Früchte kranker Pflanzen seien aber ohne Auswahl den Schweinen zum Fressen gegeben worden und danach [seien] in diesen speziellen Fällen Erkrankungen nicht vorgekommen. Und weil der belgische Professor die Versammlung nicht fest überzeugt hatte, beschloss der Kreisverein, die eigenen Beobachtungen weiterhin von den Amtmännern sammeln und zusammenstellen zu lassen. In vier bis fünf Wochen – noch vor der Kartoffelernte – wolle man dazu eine außerordentliche Versammlung anberaumen.
Wie bringt man die geernteten Kartoffeln über den Winter?
Schmising räumte ein, dass von den angestoßenen Aktivitäten im laufenden Jahr kaum Nutzen zu erwarten sei, aber man könne sich für das kommende Jahr wappnen. Man befürchtete, dass die Krankheit erneut ausbrechen könne. Doch zuvor stellten sich die Fragen nach der Durchwinterung der Kartoffeln: Dürfen nur gesunde Kartoffeln in den Keller gebracht werden und an welchen äußeren Merkmalen ist die kranke Kartoffel erkennbar? Man hat äußerlich vollkommen gesund scheinende Kartoffeln darnach beim Durchschneiden angefault gesehen – berichtete der Landrat – und er selbst habe mit Schimmel bedeckte Kartoffeln, ganz vorzüglich faul glaubend, durchschnitten, und ganz gesund befunden. Eine Sorge galt auch der Aufbewahrung von Saatkartoffeln. Sollte man sie in luftigen Räumen oder besser in wohl verschlossenen Kellern lagern? Half es, das Saatgut mit Kalk zu bestreuen oder konnte man darauf verzichten? Schmising unterstellte, dass zur Zeit schon die mannigfachsten Versuche gemacht ... [würden], deren Mittheilung großes Interesse verdiene. Die Berichte sollten Sorten (weiße, rote, blaue; runde oder lange) und Böden (Sand oder Lehm) unterscheiden. Der Landrat bat um Hinweise auf den Gang der Ausbreitung und überlegte: Wenn sich feststellen ließe, daß die Krankheit allmählich von Westen nach Osten oder von Süden nach Norden vorgerückt sei, so zeige sich damit der epidemische Character der Krankheit. Dann müsse man die harmlosere Variante ausschließen, dass die Kartoffeln allein wegen der im laufenden Jahr festgestellten höheren Bodentemperatur Schaden genommen hätten.
Nach dem bekannten Muster forderte der Landrat den Borker Amtmann auf, zunächst mit bewährten Ackerwirthen zu reden und dann einige gemeinsinnige Männer mit der Berichterstattung zu betrauen. Schmising dachte, dass die Schullehrer hierzu ganz geeignet sein könnten. Man solle aber nicht nur die erkrankten Pflanzen beobachten: Ein vorzügliches Augenmerk wird auf den Gesundheitszustand der Menschen und des Viehes, die etwa von diesen Kartoffeln genossen haben möchten, zu richten sein; und sind Erkrankungen, die in Folge des Genusses derselben entstanden zu sein scheinen, mir sofort in separato anzuzeigen.[5]
Amtmann Stojentin im September 1845 über die Verhältnisse im Amt Bork
„Beobachtungen über die Kartoffelkrankheit“ stellte die Ortsbehörde für den Monat September 1845 zusammen. Der Bericht liegt als Konzept vor.[6] Zahlreiche Streichungen und Einfügungen zeugen von einer intensiven Arbeit an den Formulierungen, mit denen der Amtmann beschrieb, was sich auf den Kartoffeläckern abspielte. Der amtliche Informationsaustausch kannte so gut wie keine Abbildungen; man verließ sich auf die Kraft des Wortes, wenn man sich „ein Bild machen“ wollte. Also ging Stojentin ins Detail und arbeitete in aller Ausführlichkeit die Fragen des Landrats ab. Er beschrieb das Erscheinungsbild der geschädigten Pflanzen in allen Stadien und zeigte sich sicher, dass die Krankheit ... nicht vom Kraut zu den Knollen vorgeschritten ist. Versuche, das Vorschreiten der Krankheit durch das Abmähen des Krautes zu verhindern, seien im Borker Amtsbezirk ohne Erfolg geblieben. Gleiches gelte für das frühzeitige Aufnehmen der Kartoffeln. Schon nach wenigen Tagen hätten sich unter den als gut sortirten Kartoffeln viele als befallen gezeigt. Andererseits seien die trockenen und warmen Tage im September den ausgereiften Früchten gut bekommen. Die meisten Landwirte hätten die Reifezeit abgewartet und eine Weiteransteckung der noch gesunden Kartoffeln ... nicht wahrgenommen. Kraut und Knollen kranker Pflanzen könne man nur mit Mühe oder gar nicht an Schweine verfüttern; es sei aber nicht schädlich, wenn die Tiere davon fressen würden.
Runde, rote und weiße Sorten, die auf Sandböden gezogen werden, hätten sich im Ganzen weniger krankhaft gezeigt, schrieb Stojentin, aber sie lieferten auch nur einen geringen Ertrag, der die Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Dagegen seien die in hiesiger Gegend ... sogenannten Mäuse (längliche) in allen Farben und auf jedem Boden durchgehend befallen. Zur Frage der Ausbreitung konnte der Amtmann mitteilen, dass man von den Nachbargemeinden im Norden, Osten und Westen von der Krankheit nichts gehört [habe], während nach Süden hin fast überall Klage darüber geführt wurde.
Die Mehrzahl der hiesigen Bewohner werde wohl bei der gewöhnlichen Aufbewahrungsart bleiben, aber darauf achten, dass die gesunden Kartoffel ganz genau sortirt, gehörig getrocknet und stetem Luftzuge ausgesetzt werden. Nur wenige haben den zur Aufbewahrung der Kartoffel dienenden Kellerraum mit ungelöschtem Kalk bestreut, berichtete Stojentin, die Leute glaubten, eine Weiterverbreitung der Krankheit nicht fürchten zu müssen. Andere scheinen es vorzuziehen – so der Amtmann weiter – die gut sortierten Kartoffeln in hoch angelegten Gruben möglichst dünn gelagert und mit gehörigen Luftabgängen versehen aufzubewahren. Zurzeit sei nicht abzusehen, welches die geeignete Methode sei. Weil aber auch die als gut erkannten Kartoffeln, beim Durchschneiden überall die den kranken Kartoffeln eigenen wässerigen Theile erblicken lassen, befürchtete man in Bork, dass selbst die gut conservirten Kartoffeln im nächsten Jahre dieselbe Krankheit hervorrufen werden.
Drohen Preisanstieg und Spekulation?
Die preußische Regierung wusste um die Bedeutung dieses hauptsächlichen Nahrungsmittels der ärmeren Volksklassen[7] und sorgte sich wegen der Kartoffelkrankheit schon im Oktober 1845 um kurzfristige Reaktionen auf den Märkten und fernere Folgen für den Anbau im folgenden Jahr. Angesichts steigender Preise fürchtete man (ausländische) Aufkäufer und erließ Mitte September ein Ausfuhrverbot für Kartoffeln, von dem man einen hinreichenden Einfluß auf Ermäßigung der Kartoffelpreise erwartete. Gedrückte Preise sollten den bereits wahrgenommenen leichtsinnigen Verkauf von Kartoffeln verhindern. Die Verkäufer hätten selbst die Kartoffeln zu Geld gemacht, die sie zur Saat im nächsten Jahre ... dringend benötigen würden. Sollte das Verbot nicht greifen und als Folge der Teuerung die Verschleuderung der unentbehrlichen Saatkartoffeln fortgesetzt ... werden, so sei es vornehmlich die Aufgabe des Amtmanns, einem solchen Treiben entgegen zu wirken, und für die Conservation eines zur Aussaat genügenden Bestandes von Kartoffeln zu sorgen. Im Übrigen solle Stojentin die Märkte beobachten und falls er von bedeutenden Aufkäufen von Getreide, Hülsenfrüchten ... für das Ausland erführe, dem Landratsamt davon möglichst genaue Anzeige machen. So könne man (höheren Orts) prüfen, ob vielleicht auch in dieser Hinsicht ein Ausfuhr-Verbot Bedürfniß werden möchte. Über die wirkliche Ausdehnung des durch die Kartoffeln-Krankheit angerichteten Schadens sollte die Amtsverwaltung möglichst vollständige und zuverlässige Nachrichten ... sammeln. Die Regierung wollte wissen, ob das Ausfuhrverbot bis zur nächsten Ernte bestehen bleiben muss.[8]
Sorge um das Pflanzgut für das kommende Frühjahr
Das Thema „Saatkartoffeln“ blieb bis in den Winter 1845/46 aktuell und tauchte auch in den Folgejahren immer wieder auf. Ende Februar 1846 sondierte der Kreis noch einmal vorsichtig, ob die bis jetzt gewonnenen Erfahrungen erwarten lassen, daß das Bedürfniß an Saatkartoffeln in dem dortigen Amte gedeckt sein werde, [oder] ob wenigstens anzunehmen ist, daß der ...Mangel aus den Ueberschüssen anderer Gegenden ausgeglichen werden könne. Es sollte angezeigt werden, ob man sich selbst helfen könne, oder ob (staatliche) Vorkehrungen zur Abhülfe ... als unerläßlich beantragt werden müssen.[9] Aus dem Amt Bork kam eine Entwarnung: Saatkartoffeln seien größtenteils vorhanden und sonst in der Nachbarschaft wohl zu erhalten.[10]
Die Behörden waren auch in anderen Fällen bestrebt, zunächst Selbsthilfe einzufordern. Staatliche Hilfen wurden spät und zögerlich in Aussicht gestellt, ihre Bereitstellung war immer an Bedingungen, z.B. eine spätere Rückerstattung, gebunden. Eifriger widmete sich die Regierung der Verbreitung von Kenntnissen und praktischen Ratschlägen.
Eine Anleitung für die kleineren Kartoffelbauer
1839 unterstützte die Bezirksregierung die Verteilung einer Schrift des „Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich preußischen Staaten“, der seine besondere Aufmerksamkeit dem Kartoffelbau gewidmet hatte und nun glaubte, ein Verfahren gefunden zu haben, welches Missernten verhindere. Der Kreis Lüdinghausen erhielt gleich zehn Exemplare der der Druckschrift, um sie in die Hände Verständiger, für das Wohl ihrer ärmeren Mitbürger empfänglichen Landprediger, Schullehrer, Gemeindevorstände pp zu bringen und diese zu veranlassen, durch Anleitung und Beispiel vorzüglich die kleineren Kartoffelbauer zur Beachtung und Nachahmung dieses segensreichen Verfahrens zu ermuntern. Die Heftchen hatte der Verein bezahlt und Münster bot den Kreisen an, sie bei Bedarf mit weiteren Exemplaren zu versorgen. Mit der Frist von einem Jahr sah die Regierung dem landrätlichen Bericht entgegen, ob und in wie weit die Sache zur erwünschten Wirksamkeit gelangt ist.[11]
Es war eine sehr praktische Anleitung für den Kartoffelbau[12], die von der tiefen Lockerung des Bodens bis hin zur Ernte und Lagerung der Früchte jeden Handschlag beschrieb und bei den Adressaten keine geordneten Kenntnisse voraussetzte. Den Pflanzungen solle allgemein mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, mahnten die Herausgeber, und für höhere Erträge sei auch mehr Arbeit notwendig. In jeder Phase der Produktion könne einiges bedacht und verbessert werden. Die Ratschläge betrafen das Düngen und die Düngergewinnung, die Sortenwahl und die Saatkeime, das Vorgehen bei der Aussaat und das Hacken und Häufeln während des Wachstums. Den „armen Landbewohnern“ sollte ein – wie es die Autoren selbst nannten – „Verfahren“ nähergebracht werden, das eine größere Betriebsamkeit und Genauigkeit als üblich erfordere. Der vermehrte Aufwand würde sich allerdings lohnen, denn gegenüber dem herkömmlichen Anbau sichere diese „zweckmäßige Art des Kartoffelbaues“ einen drei- bis fünffach höheren Ertrag.
Herausgeber und Behörde sahen es als wünschenswert an, das „Verfahren“ wenigstens von jenen armen Landbewohnern ausgeführt zu sehen, deren Wohl und Wehe größtentheils vom Kartoffelbaue anhängt; wussten aber auch um die begrenze Reichweite einer gedruckten Botschaft: Auf dem gewöhnlichen Wege der Belehrung seien die Menschen nicht zu erreichen, da Wort und Schrift nicht dorthin gelangen. Außerdem würden verhärtete Gewohnheit und vorherrschende Abneigung gegen alle Neuerungen den Zugang erschweren. Dazu gehöre, dass von wohlhabenden oder gebildeten Einwohner ausgehende Beispiele für ärmere Schichten keinen Anreiz zu Nachahmung böten. Erst wenn ein Standesgenosse Erfolge aufweisen könne, würden ihm möglicherweise andere auf dem eingeschlagenen Weg folgen.
Das Wort bedurfte der Vermittlung. Auch im Amt Bork setzte man auf die die Fähigkeit der menschenfreundlich gesinnten Seelsorger und Jugendbildner; sie sollten die einfachen Leute von der guten Sache überzeugen. Zehn Personen (Pfarrer und Lehrer) erhielten ein entsprechendes Rundschreiben. Der Aktion war jedoch kein Erfolg beschieden. Bürgermeister Köhler schrieb dem Landrat nach Ablauf eines Jahres, dass die vom Verein zur Beförderung des Gartenbaues empfohlene Methode hinsichtlich des Anbaues der Kartoffeln ... wegen der damit verbundenen großen und weitläufigen Arbeiten keinen Eingang gefunden habe.[13]
Hilft der „Kartoffel-Keim-Ausstecher“ ...
Zum Dauerbrenner amtlicher Empfehlungen wurde der „Kartoffelaugen-Ausstecher“, ein kleines Werkzeug für das schon 1827 im Amtsblatt der Münsterschen Regierung geworben wurde und das 1846 als „Kartoffel-Keim-Ausstecher“ den jetzigen Mangel an Pflanzkartoffeln mildern sollte. Vom Königlichen Ministerium ... neuerdings darauf aufmerksam gemacht, nahm sich Landrat Schmising der Sache an, erinnerte an bald zwanzig Jahre alte Amtsblätter und legte seinem Schreiben an den Borker Amtmann[14] zur Verdeutlichung einen hier mit solchem Löffel ausgestochenen Keim bei. Da in solcher Art aus einer Kartoffel oft 6 auch 8 Keime gewonnen werden könnten, verdiene diese Verfahrensweise weitere Mittheilung. „Nachrichtlich“ bemerkte der Landrat, dass der hiesige Schlossermeister Köhler solche Löffel für 7 ½ Silbergroschen das Stück anzufertigen geneigt ist. Den Ackerwirten, welche die Kosten der Anschaffung eines solchen Löffels scheuend, die Keime ausschneiden wollen, hielt Schmising entgegen, dass nach neueren Erfahrungen der Keim sich nur dann vollständig entwickelt, wenn die durch die Höhlung des Löffels bedingte Masse des Kartoffelfleisches, welche an dem Keim bleibt und ihn umgibt, so groß ist, daß die Wurzel des Keimes nicht beschädigt wird und sie für die Entwickelung der Pflanze die nöthige Nahrung darbiethet. Die Kaufempfehlung fand sich eingebettet in eine Reihe praktischer Ratschläge für die schonende Behandlung der Keime und die Bestellung eines Kartoffelackers.
... oder sollte man Kartoffeln aussäen?
Die befürchteten Ausfälle bei der Versorgung mit Saatkartoffeln veranlassten das Innenministerium, die Aussaat von Kartoffelsamen zu propagieren. [15] Es sei dem Gräflich v. Arnim’schen Gärtner Zander zu Boitzenburg gelungen, in einem Jahr aus Samen Kartoffelpflanzen zu ziehen und einen Ertrag gleich dem von gesteckten Knollen zu erzielen. Mit der ministeriellen Bekanntmachung erhielt das Regierungspräsidium gleich eine Probe der in beschriebener Art erzielten Kartoffeln. Das überzeugte Münster und der Lüdinghauser Kreissekretär gab das Blatt mit der Aufforderung an den Borker Amtmann weiter, auf jede geeignete Weise auf die versuchsweise Anwendung des mitgetheilten Verfahrens einzuwirken.[16] Eile sei geboten, hieß es aus dem Ministerium, um jetzt [Ende Oktober 1845] vom Frost verschont gebliebene Kartoffelbeeren zu sammeln, damit es namentlich den kleinen Leuten, welche sich ihren Bedarf selbst erbauen, überall möglich sein wird, das beschriebene Verfahren anzuwenden. Ob in nennenswertem Umfang gesammelt wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen, aber im Frühjahr 1846 legte das Innenministerium von sich aus nach und versorgte das Regierungspräsidium mit Kartoffelsamen, der von Münster über die Kreise an die Gemeinden verteilt wurde. Selbst der Oberpräsident der Provinz nahm sich der Sache an und versuchte, die größeren Gutsbesitzer in die Pflicht zu nehmen. Dabei entwickelte der vor einem knappen Jahr als Nachfolger Vinckes ins Amt gekommene Schaper[17] eine recht optimistische Vorstellung davon, wie sich Hilfestellung über gesellschaftliche Grenzen hinweg organisieren könnte:
Es wird darauf ankommen, ließ der Oberpräsident die Bezirksregierung wissen, daß wenn die größeren Gutsbesitzer sich nicht entschließen wollen, an Stelle unentgeldlich empfangenen Saamens den ärmeren Anbauern eine entsprechende Quantität Saatkartoffeln ebenfalls unentgeldlich zu geben, ... dieselben wenigstens dahin bestimmt werden, das Aussäen des Saamens in ihren Mistbeeten oder hierzu besonders vorzurichtenden Frühbeeten zu gestatten, und dem kleinen Besitzern bei dem Auspflanzen wie der weitern Behandlung mit Rath und That an die Hand zu gehen ... Mindestens wird aber auf Anregung der Landräthe doch zu erwirken sein, daß die bemittelteren und erfahreneren Landwirthe den kleineren Anbauern bei Anlegung eigener Frühbeete die erforderliche Anleitung geben und dieselben nach vorgedachter Anweisung von dem einfachen Verfahren bei der weitern Behandlung unterrichten.[18]
Die nachgeordneten Ebenen reichten die Ausführungen weiter. Der Regierung in Münster war wichtig, dass das zur Verfügung gestellte Saatgut wirklich zur Unterstützung der kleinen Landwirthe gereiche und in Lüdinghausen riet der Landrat vorsorglich, man möge den Samen dichter säen, da angestellte Versuche erwiesen haben, daß wohl nur das Aufgehen eines Drittels oder eines Fünftels ...zu erwarten stünde.[19] Die so schon gedämpfte Erwartung erfüllte sich im Amt Bork nicht. Im August 1846 zeigte Stojentin dem Landratsamt an, daß von dem hier zur Vertheilung gebrachten Kartoffelsaamen kein Erfolg erzielt worden, indem derselbe nirgend aufgegangen ist.[20]
Trotz erneutem Ausbruch der Kartoffelkrankheit waren die geernteten Knollen im Jahr 1846 größtenteils von guter Qualität; nur der Ertrag blieb im Ganzen mittelmäßig. Die Mengen lagen im Durchschnitt um ein Viertel unter dem angenommenen Bedarf, d.h. auch für das Jahr 1847 war ein Mangel an Saatkartoffeln zu erwarten. Ähnlich war es um die Roggenernte bestellt, die im Amtsbezirk Bork den Bedarf nirgends decken konnte. Stojentin nahm beides zum Anlass, gegenüber dem Landrat für eine Beibehaltung des Ausfuhrverbots für Kartoffeln einzutreten.[21]
September 2015
Fortsetzung zum Thema Saatkartoffeln (1847) unter:
"Zusprache" zur Abwendung eines wirklichen Nothstandes 1847
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[1] Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 193.
[2] Osterhammel, Verwandlung, S. 302.
[3] StA Selm, AB-1 Nr. 155, Fragment eines Briefes (pr) 29.08.1845.
[4] Der Vorstand des landwirthschaftlichen Vereins des Kreises Münster verbreitete mit Datum vom 27.08.1845 einen Aufsatz von Charles François Antoine Morren, Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Professor der Land- und Forstwirtschaft an der Universität Lüttich: Die Krankheit der Kartoffeln, Lüttich, den 18. August 1845.
[5] bis [11] StA Selm, AB-1 Nr. 156.
[12] StA Selm, AB-1 – ein Exemplar befindet sich in der Akte Nr. 156.
[13] [14] StA Selm, AB-1 Nr. 156.
[15] StA Selm, AB-1 Nr. 156, Gedruckte Mitteilung des Innenministeriums vom 18.10.1845.
[16] StA Selm, AB-1 Nr. 156.
[17] Schaper, Justus Wilhelm Eduard von, *30.10.1792, †23.2.1868, seit dem 27.5.1845 Oberpräsident der Provinz Westfalen bis zur Ernennung Flottwells am 15.7.1846.
[18] bis [21] StA Selm, AB-1 Nr. 155.