Die jüdische Schule in Bork und deren Lehrer - Teil 1
Christel Gewitzsch
So, wie sich die Rechtsstellung der Juden in Preußen häufig wandelte, so unterlag auch das jüdische Erziehungswesen einem ständigen Wechseln, blieb zeitweise auch ungeordnet. Wenn die Kinder keine christliche oder jüdische Schule besuchten, konnten die Eltern Hauslehrer anstellen. Den Religionsunterricht übernahm oft der Rabbiner oder Vorleser der Gemeinde. Nach einem Gesetzentwurf von 1808 sollten jüdische Schulen gar nicht geduldet werden und 1812 konnten sich die Experten über die Ordnung des jüdischen Schulwesens nicht einigen. Welche Qualifikation ein jüdischer Lehrer vorzuweisen hatte, war nicht festgelegt. Von Regierungsseite her sollte mit Einzelmaßnahmen und Verfügungen die Situation verbessert werden. 1847 endlich widmete das Gesetz über die Verhältnisse der Juden dem Unterrichtswesen acht Paragrafen. (siehe Dokumente: Gesetz über die Verhältnisse der Juden. Vom 23. Juli 1847. Ausschnitt >)
Die Ausbildung der jüdischen Lehrer kam erst in Schwung, als Alexander Haindorf in Münster 1825 den Verein für eine bessere Ausbildung der israelischen Jugend[1] ins Leben rief. Dieser Verein gründete ein Lehrerseminar. Die Lehrerprüfung mussten die Absolventen in dem evangelischen Seminar in Soest ablegen.
David Isack und Joseph Lion
Der erste in den Akten genannte jüdische Lehrer in Bork ist David Isack. Er war, laut Bürgermeister, ein sehr braver und sittlicher Mensch, der das Zutrauen und die Achtung sämmtlicher Eingesessener genießt.[2] Isack fragte 1821 an, ob er nicht wie alle übrigen Lehrer, auf die Zulage Anspruch machen dürfe. Vom Landrat kam die Antwort, daß er gar keinen Anspruch auf die Zulage zu machen habe, welche nur denen nach Beywohnung der Normal Schule approbierten Lehrern gebührt.
David Isack wurde nicht alt. Er starb 1822 im Alter von 27 Jahren an der Schwindsucht.
Joseph Lion folgte ihm, durfte aber nicht lange bleiben, weil er aus Morbach im Regierungsbezirk Trier der Rheinprovinz stammte und somit als fremder Jude nur eine Aufenthaltsgenehmigung bis 1824 erhielt.
Inzwischen hatte es sich bei der Königlichen Regierung herumgesprochen, dass nicht in allen jüdischen Gemeinden den Schulkindern ein regelmäßiger und ordentlicher Schulunterricht erteilt wurde. Die Lehrer wechselten zu häufig und waren oft nicht qualifiziert genug. Auch waren sich die Hausväter über die Verteilung der Kosten oft uneinig. Um die Situation zu verbessern, veröffentlichte die Regierung Im November 1823 ein vom Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten genehmigtes Regulativ zum Jugendunterricht unter den Juden.[3] In sieben Kapiteln legte sie Regeln über die Einstellung der Lehrer fest, schnitt das Thema des Religionsunterrichts an, äußerte sich zur Einrichtung von Schulen, die den gesamten Unterrichts abdeckten und klärte die Frage der Schulaufsicht. (siehe unter Dokumente: Jugendunterricht unter den Juden >)
Schon im Juni 1824 folgte ein Nachtrag zu dieser Verordnung. Darin stand, daß auch die etwa ausschließlich für den jüdischen Religionsunterricht zu bestellenden Lehrer sich zuvor einer Prüfung, zwar nicht über ihre jüdischen Religionskenntnisse, aber doch über ihre sonstigen Schulkenntnisse und über ihre Lehrgeschicklichkeit unterwerfen sollen; wie auch, daß diejenigen jüdischen Privatlehrer, welche Lehrstunden in den Häusern geben wollen, ihre Tüchtigkeit dazu in einer mit ihnen anzustellenden Prüfung nachzuweisen haben und ohne eine, auf den Grund des von der Prüfungsbehörde ihnen über ihre hinlängliche Qualification ausgestellten Zeugnisses, von der Regierung ertheilten Concession keine Lehrstunden geben dürfen.
In Bork führte der erzwungene Weggang des Joseph Lion zu einigem Ärger. Bürgermeister Köhler schrieb an den Landrat: Wie Ew. Hochwohlgeboren bekannt ist der hiesige jüdische Schullehrer p. [Joseph] Lion erst seit einem guten halben Jahre von hier weg und bis jetzt noch kein anderer jüdischer Lehrer hier vorhanden; ebensowenig sind aber bis jetz die jüdischen Kinder zur hiesigen Bürgerschule gesandt, da dieselben noch immer einen anderen Lehrer zu erhalten gedachten, und zugleich auch wegen der großen Anzahl christlicher Kinder der Lehrer p. Didon das Gesuch verschiedener Juden abgelehnt haben soll.[4]
Die Eigenmächtigkeit des Lehrers Didon konnte Landrat Schlebrügge nicht hinnehmen und er forderte, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Dazu kam es nicht, denn Didon gab zu Protokoll, seit dem Weggang des jüdischen Lehrers zwei seiner Schülerinnen unterrichtet zu haben. Eine Ablehnung von jüdischen Schülern seinerseits habe es nie gegeben, dies sei eine von den Juden erdichtet Lüge. Köhler vermutete, dass die jüdische Gemeinde auf diese Weise schneller eine Genehmigung für die Anstellung eines fremden Lehrers erreichen wollte.
Benjamin Wolf
Der nächste Interessent, Benjamin Wolf, kam aber erst 1827, also drei Jahre später. Er hatte allerdings noch nicht die nötige Prüfung. Anfang Januar 1828 erhielt er die Weisung vom Landrat, sich im Seminar in Soest beim Direktor Ehrling der Prüfung zu unterziehen. In der lehrerlosen Zwischenzeit besuchten die jüdischen Kinder meistens die örtliche Schule und erhielten von ihren Eltern den ergänzenden Religionsunterricht. In der Gemeinde Selm war das über alle Jahre hinweg die gängige Praxis. 1827 riss der Besuch der jüdischen Kinder in der Ortsschule in Bork ab. Benjamin Wolf, der in Bork offiziell als Vorsänger tätig war, hatte möglicherweise schon zu unterrichten begonnen. 1831 stellten die Gebrüder Melchers und andere jüdische Familien ihn als Privatlehrer ein. Doch nach einem halben Jahr zog es ihn weiter nach Lengerich.
Samuel Isack[5] Kaufmann
Wolfs Nachfolger wurde 1832 der in Wolbeck geborene, im Mark- Haindorf Seminar in Münster ausgebildete Isack Kaufmann. Er blieb am längsten in Bork, insgesamt 16 Jahre. Sein Examen in Soest hatte er 1830 mit dem Zeugnis Nr. II bestanden. 1833 beantragte er, als offizieller Lehrer, nicht nur als Privatlehrer, für die damals neun schulpflichtigen jüdischen Kinder angestellt zu werden und Bürgermeister Köhler unterstützte seinen Wunsch. Im August des Jahres erteilte ihm die Königliche Regierung die Erlaubnis, eine Schule in Bork zu eröffnen mit dem Hinweis: Nach Verlauf von 5 Jahren ist die fernere Concession nachzusuchen und dabei die Erfüllung seiner Militärpflicht nachzuweisen.[6]
Um die Konzessionsverlängerung bemühte sich der Lehrer erst wieder 1842. Seine selbsterteilte Fristverlängerung schien er auf die leichte Schulter zu nehmen. Er räumte ein, dass seine Erlaubnis schon seit 1838 abgelaufen war, bat aber die Regierung treuherzig:
Möchte Hochdieselbe mir diese meine Nachlässigkeit nicht verargen und erlauben, daß ich mich unterfange; „Eine Hochg. Königl. Preuß. Regierung zu Münster ganz gehorsamst zu bitten, mir hochgeneigtest fernere Concession ertheilen zu wollen, für die israelitische Jugend zu Bork Schule halten zu dürfen.“
Die mir hierdurch erzeigende Wohlthat werde ich stets mit Dank erkennen und durch die treue Erfüllung meiner Amtspflichten stets zeigen wie sehr ich bin
Einer Hochlöblichen Regierung
ganz gehorsamer Diener S. Is. Kaufmann[7]
Stojentins Begleitschreiben an den Landrat lautete:
Wiewohl gegen den Antrag des p. Kaufmann sich nicht zu erinnern findet, so da sowohl seine seitherige Führung als musterhaft bezeichnet werden muß und seine Leistungen als Lehrer den Erwartungen durchgängig mehr als entsprochen haben, so kann ich für die Erneuerung der Concession doch nur dann stimmen, wenn derselbe einen mit der Judenschaft abgeschlossenen Contract vorlegt, der dahin bürget, daß die Kinder während der Dauer der Consession einen ungestörten Unterricht erhalten. Dieser Wunsch gründet sich darauf, daß der p. Kaufmann in der letzten Zeit sich geweigert hat die Kinder des Handelsmann Herz Goldberg gegen das seitherige Schulgeld zu unterrichten, und nur dann dem ferneren Unterricht zugeführt hatte, sobald der Goldberg für jedes Kind, denen er 3 hat, 20 T. also im Ganzen 60 T. zahlen wolle. Diese Forderung finde ich nicht angemessen, und würde unbedingt eine Störung des Unterrichts herbeigeführt haben, wenn nicht durch meine Vermittlung der p. Kaufmann sich für jetzt wieder bereit gezeigt hatte, die Kinder des Goldberg in alter Weise zu unterrichten. Soll aber für die Zukunft ein derartiger Fall vorgebeugt und das den Juden gemeinschaftlich gehörige Schulzimmer ungehindert genutzt werden, so darf es anräthlich scheinen dem p. Kaufmann zur Bedingung zu machen einen Contract zu produziren, worin die Judenschaft für die Dauer der Consession des Kaufmann dahin gesichert ist, daß die Kinder ungestört unterrichtet werden.
Der von der Regierung um Stellungnahme gebetene Vizegeneralsuperintendent der Evangelischen Kirche von Westfalen Bernhard Christoph Ludwig Natorp sprach sich gegen die Einrichtung einer öffentlichen Schule aus, hatte aber gegen eine Erneuerung der Konzession für Kaufmann nichts einzuwenden. Nun mussten nur noch Kaufmanns Militärverhältnisse geklärt werden, was sich als schwierig herausstellte. Zwar war Isack Kaufmann wegen einer körperlichen Behinderung (in der Quelle heißt es, er sei stark verwachsen) nicht in der Lage, den Dienst zu verrichten, doch musste es dazu eine offizielle Bestätigung geben. Erst hieß es, er sei bei der Anfertigung der Aushebungslisten in seinem Heimatort übersehen worden, dann gab es Zweifel an seinem Geburtsdatum wegen einer möglichen Verwechselung mit seinem Bruder Marcus. Isack Kaufmann tauchte in keinem Familien, bzw. Personenregister auf, was wohl der Grund dafür war, so vermutete der ehemalige Bürgermeister von Wolbeck Kerkhoff, dass er nicht zur Aushebung herangezogen worden war.
Gelöst wurde dieses Durcheinander dadurch, dass sich Kaufmann der Kreis- und der Departements-Kommission vorstellte, die ihn beide als ganz invalid[8] anerkannten. Die Regierung in Münster stimmte daraufhin einer Verlängerung des Vertrages zu. Auf den Wunsch des Bürgermeisters ging sie ein, indem sie den Lehrer verpflichtete, alle Kinder gleich zu behandeln, damit nicht gegen einzelne Familien wieder solche Ungebührlichkeiten, wie früher, vorkamen. Er sollte einen Vertrag mit der jüdischen Gemeinde darüber vorlegen. Sein Hinweis auf eine mündliche Übereinkunft genügte dem Amtmann nicht. Im Juni 1844 trafen sich daraufhin 10 Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit dem Lehrer und setzten einen Vertrag auf. In diesem stand u.a., dass dem Kaufmann die Lehrer- und Kantorstelle für einhundert Taler jährlich (in zwei Raten auszuzahlen), plus monatlichem Schulgeld von 2 ½ Silbergroschen pro schulpflichtigem Kind übertragen wurde. Der Lehrer hatte Anrecht auf freie Kost, freies Wohnen und Heizmaterial, außerdem konnte er auf Kosten der Gemeinde [maximal drei Taler jährlich] sich eine Aufwärterinn nehmen, die das Bett macht, Feuer anmacht, wie auch Schule und Wohnung reinigte. Die Anwesenden verpflichteten sich schriftlich, an wie vielen Tagen sie die Kost für den Lehrer übernehmen wollten und wie hoch sich ihr Anteil am Lehrergehalt belief.
Der Lehrer musste, in seinen gesunden Tagen nach der Schulordnung des Regierungsbezirkes Münster, sämmtliche schulpflichtigen Kinder ob gedachter Herrn Mitglieder in den Fächern der hebräischen und deutschen Elementarwissenschaften ... unterrichten, wie auch die Cantor Stelle, außer den Festtagen des Monats Tischri[9], allein ... versehen. Er durfte keine Schulstunde versäumen und außer an den freien Tagen Bork Tag und Nacht nicht ohne Erlaubnis verlassen.
In die Amtszeit des Lehrers Kaufmann (1843) fiel eine Anordnung des Ministeriums für geistliche pp Angelegenheiten, welches für den ganzen Umfang der Monarchie das jüdische Cultus- und Schulwesen genauer regulirt[10] wissen wollte. Dazu bedurfte es detaillierter Informationen über die tatsächlichen Zustände. Amtmann Stojentin erkundigte sich beim Lehrer, der sich ausführlich zu dem Fragenkatalog (der in der Akte leider fehlt) des Ministeriums äußerte.
ad 1. Hier zu Bork besteht mit Wissen und Willen der Staatsbehörde eine Synagoge, welche Eigenthum der Gemeinde ist. Zur hiesigen Synagoge gehören 11 Familien von welchen 10 zu Bork und 1 zu Selm wohnen, und diese müssen sich zur Gemeinde halten.
ad 2. Die Hauptbedingung der Mitgliedschaft besteht darin, daß sie beitragen sollten was zum allgemeinen Wohle dient, die vereinbarten monatlichen Beiträge zahlen, und zur Besoldung eines Lehrers resp. Cantors mitwirken, bei den Eingeborenen ist die Mitgliedschaft erblich; Fremde hingegen müssen, wenn sie als Mitglied aufgenommen werden wollen eine gewisse Summe Geldes gleich einzahlen, und sich verpflichten die sonstigen Beiträge zu entrichten, wie die Eingeborenen. Die Mitgliedschaft wird verloren durch Weigerung zum Zahlen der Beiträge oder zur Besoldung eines Lehrers resp. Cantors nicht beitragen zu wollen (d.h. bei denen, die zahlen können). Alle Mitglieder haben gleiches Stimmrecht, jedoch hat der Vorsteher zwei Stimmen.
ad 3. Die Cultus Angelegenheiten werden hier durch den Vorsteher präsentirt; dieser wird jährlich neu gewählt. Seine Functionen bestehen darin, daß er für Aufrechterhaltung des Gottesdienstes sorge; die Bücher führe über Einnahme und Ausgabe. Besondere Befugnisse stehen ihm nicht zu.
ad 4. Ist schon in 3 erörtert, nur noch zu bemerken, daß der Vorsteher jährlich neu auf ein Jahr durch Stimmenmehrheit gewählt wird, keine Besoldung erhält, bei seiner Entlassung hat derselbe Rechnung abzulegen im Beisein der Mitglieder.
ad 5. Das Vermögen der Gemeinde besteht aus der Synagoge und Schule und dem Gottesacker, noch aus einem Fond von 250 Thlr, welches vom Vorsteher verwaltet wird.
ad 6. Die Gemeinde-Beiträge und Lasten werden nach Vermögensumständen repartirt [zugeteilt] und durch den Vorstand eingezogen. Es tritt dabei keine Aufsicht und Einmischung der Staatsbehörde ein.
ad 7. Weder die Gemeinde noch der Vorstand übt ein Strafrecht gegen die einzelnen Mitglieder aus. Der Bann kann nur vom Rabbiner gehandhabt werden. Bei etwaigen Streitigkeiten entscheidet die Staatsbehörde oder der Rabbiner. Hierselbst sind weder Spaltungen noch Neologen [Neuerer, negativ gemeint].
ad 8. Die deutsche Sprache hat hier bei dem Gottesdienste keinen Eingang gefunden, sondern hier im Allem der alte Ritus beibehalten. Confirmation der Kinder findet statt, aber keine der christlichen Kirche nachgebildete; es findet überhaupt keine Nachahmung christlicher Sitten und Gebräuche weder beim Gottesdienst noch bei der Tracht des Cultus Beamten statt.
ad 9. der Lehrer I. Kaufmann [wahrscheinlich die Antwort auf die Frage nach dem Religionsunterricht]
ad 10. Da hier ein bisher concessionirter israelitischer Privat-Lehrer ist, so besuchen die Kinder keine christliche Schule.
Ganz anders als das Zeugnis, das der Amtmann dem Kaufmann 1842 ausgestellt hatte, liest sich der Brief, den zwei Jahre später mehrere Einwohner der Gemeinde Bork[11] an die Regierung aufsetzten. Anstatt das anonyme Schreiben in den Papierkorb zu werfen, ging es zur Berichterstattung an den Landrat. Die besorgten Bürger schrieben:
Der jüdische Lehrer namens Kaufmann zu Bork führt ein derartiges Leben, daß wir nicht umhin können, solches näher zu berichten. Derselbe statt seinen Berufspflichten in der Schule abzuleisten, spielt er den Winkeladvokat, wobei er den fürchterlichsten Wucher sowohl bei Kristen als Juden treibt. Sogar sucht er alle gegen ein ander zu hetzen. Kinder gegen Eltern und Eltern gegen Kinder wiegelt er auf, wie dieses durch den Handelsmann Herz Goldberg zu Bork gehörig dürfte bewiesen werden können, zu dessen Ruin er das meiste beigetragen hat.
Lediglich erstreckt sich sein Geschäft um zwischen den Landleuten durch Aufnahme von Schuldscheinen, wobei er sich als Zeugen unterschreibt, und worauf nicht die Hälfte Geld gegeben ist, den schändlichsten Wucher zu treiben, wodurch immer die Beerbten geprellt werden. Dieses können die Beerbten Beermann und Busmann zu Hassel bei Bork wie auch Caldewei und Münninghausen im Kirchspiel Selm beweisen.
Zwar sind schon öfters Klagen beim Herrn Landrat darüber eingegangen, allein man hat bis jetzt von deren Erfolg nichts gehört. ...
Man kann nur … sagen, daß er [Kaufmann] die Plage und Geißel der ganzen Gemeinde Bork ist.
Was war geschehen? Kaufmann hatte für die Gebrüder Melchior und für Meyer Rosenberg Verhandlungen protokolliert und weitere Schreibarbeiten für sie erledigt. Amtmann Stojentin, der die oben genannten Beerbten vernahm, betonte mehrfach, dass er für den Beschwerdegrund keine Beweise vorlegen könne, doch teile er die Meinung der Briefschreiber. Die Abteilung des Innern unter dem Oberregierungsrat Carl Ferdinand Rüdiger beauftragte den Amtmann, den Lehrer ernstlich aufzufordern, sich von dergleichen Ungebührlichkeiten zu hüten.[12] In dem Protokoll zu dieser Sitzung fügte Stojentin einen zweiten Vorwurf hinzu. Kaufmann habe auch den Schulunterricht der jüdischen Kinder verschiedentlich vernachlässiget [...], um Privatangelegenheiten nachzugehen. Und der Amtmann fuhr fort: Ob und in wieweit der ihm gemachte Vorwurf beweislich begründet sei, könne nicht Gegenstand dieser Verhandlung sein.
Kaufmann taucht 1848 zum letzten Mal in den hier angegebenen Akten auf. Mit diesem Jahr lief seine Konzession aus. Ein Jahr vorher hatte er sich mit der Bitte an die Königliche Regierung gewandt, eine Anstellung als Religionslehrer oder Kreisrabbiner bei einer Synagogengemeinde im Kreis Lüdinghausen[13] verliehen zu bekommen. Er gab als Grund folgendes an: Da jedoch nach dem neuen Judengesetze Sr. Majestät unsers Allergnädigsten Königes, neue Hauptgemeinden gebildet werden, bei welchen Religionslehrer oder Kreisrabbiner angestellt werden sollen, so wird es den einzelnen Gemeinden schwer fallen, ferner einen Privatlehrer zu besolden. Ich habe daher wenig Hoffnung, wenn die Synagogengemeinden gebildet sein werden, ferner hier bleiben zu können. Ob ihm eine solche Stelle zugewiesen wurde, ist nicht vermerkt. Seinen Wohnort verlegte er nach Westercappeln.
November 2020
Fortsetzung: Teil 2 >
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[1] siehe auf dieser Website: Für eine bessere Ausbildung der israelischen Jugend >
[2] und folgendes Zitat: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 309.
[3] Amtsblatt der königlichen Regierung zu Münster, Nro. 47, S. 319.
[4] und folgendes Zitat: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 306.
[5] Der Name Isack taucht bei allen Namensträgern in unterschiedlichen Schreibweisen auf, neben Isack auch Issak, Issac.
[6] und folgende Zitate, falls nicht anders vermerkt: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 309
[7] LAV NRW W, Reg. Münster, Nr. 10964
[8] LAV NRW W, R.M., Nr. 10964.
[9] Der erste Monat nach dem jüdischen Kalender, in den die hohen jüdischen Feiertage fallen.
[10] und folgende Zitate:Stadtarchiv AB-1 – 304.
[11] LAV NRW W, R. M., Nr. 10964.
[12] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 309.
[13] und folgende Zitate: LAV NRW W, R. M. Nr. 10964.