aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Kleinkrieg in Bork (1871/1872)

Christel Gewitzsch

Folge IV/V          I, II, III, V

Scharmützel 7 – Klassensteuerrollen und Massenbestrafung

Am 27.11.1871 meldete sich das Landratsamt beim Amtmann Döpper und äußerte Zweifel an der sorgfältigen Anfertigung der Klassensteuerrolle von Bork für 1872. In Lüdinghausen war aufgefallen, dass die Bevölkerungszahlen von 1871 und 1872 sich kaum unterschieden und die Personenzahl für die über 16-Jährigen identisch war. Döpper erhielt den Auftrag, die Angaben persönlich zu überprüfen und binnen vier Wochen einen ausführlichen Bericht zu erstatten.

Kampf der Platzhirsche

Ab jetzt wird es verwirrend. Wer wann welche Listen besaß oder nicht, ist nur schwer nachzuvollziehen. Im April hatte der Amtmann es abgelehnt, die Zu- und Abgangslisten für den Gemeindevorsteher zu führen, deshalb musste Döpper jetzt bei diesem um Information nachfragen. Nach fünf Wochen gestand er dem Landratsamt ein, weder die Steuerrollen von Bork noch Duplikate von der Steuerkasse in Werne bekommen zu haben. Erst Ende Januar war Döpper in der Lage, Zahlen einzureichen, wobei er feststellte, daß manche steuerpflichtigen Personen pro 1872 zur Klassensteuer nicht veranlagt worden waren.[1] Dieses müsse er schleunigst nachholen lassen, schrieb der Landratsamtsverwalter, woraufhin Döpper den Gemeindevorsteher mit dem Vollzug beauftragte. Die noch nicht veranlagten Personen hatte Döpper in der Liste rot angestrichen, damit keine weiteren Fehler unterlaufen sollten. Damit war das Hin und Her um die Rollen aber nicht beendet. Es setzte sich bis in den Juni 1872 fort und veranlasste das Amt in Lüdinghausen zum Schluss zu der dringenden Empfehlung an den Amtmann, die Dienstgeschäfte mit Geiping direkt zu erledigen, ohne ständig das Landratsamt einzuschalten. Und obwohl dieses über die fortgesetzten Querelen der beiden bestens informiert war, empfahl es außerdem dem Amtmann, dem Gemeindevorsteher gelegentlich mit seinem Rat zur Seite zu stehen. Resignierend vermerkte Döpper am Rand: Wenn direct wegen der Renitenz des Geiping nicht möglich – und Landraths-Amt Erleichterung des Geschäftsganges empfiehlt, mit welchen Mitteln dann vom Amtmann durchzuführen?

Geiping beschwert sich

Parallel zu der Steuerfrage verschärfte sich die Situation zusätzlich, nachdem der Amtmann Anfang Dezember an fast sechzig Borker Eingesessene Strafmandate verschickt hatte und Geiping sich in einem langen Brief an die Königliche Regierung darüber – und über anderes – beschwerte. Döpper behauptete, so Geiping, im August die Borker aufgefordert zu haben, jede Veränderung des Hausstandes bei ihm anzumelden. Geiping aber und fast die ganze Gemeinde, so schrieb er, wussten davon nichts. Außerdem habe er alle Listen für 1871 beim Amtmann abgegeben, so dass dieser über die notwendigen Angaben verfügte. Die Regierung möge die Sache untersuchen und gegebenenfalls die Strafmandate zurücknehmen. Geiping übersah dabei, dass es in dem aktuellen Dienstgange bezüglich der Klassensteuer um die Listen für 1872 ging, die für die Ermittlung der Steuerpflichtigen benötigt wurden.

Im weiteren Verlauf des Beschwerdebriefes trug Geiping der Regierung seine Einschätzung der Situation vor. Er schrieb: Da der Herr Amtmann nicht weniger als beliebt in unserer Gemeinde ist, so scheint mir diese Massenbestrafung ein unpracktisches Mittel zu sein, sich die Achtung der Gemeinde zu erwerben. Wer sich selber Achtung zu verschaffen weiß, wird am besten den Gesetzen Achtung zu verschaffen wissen. Wer selbst den Gesetzen Achtung zollt, ist am besten im Stande, den Gesetzen Achtung zu verschaffen.

Danach führt er im Interesse der Gemeinde noch einige weitere Vergehen, beziehungsweise Versäumnisse des Amtmanns an. Als erstes berichtet er, der Amtmann hielte seine Bürostunden nicht ein und wenn er im Büro sei, würde er bei der Entgegennahme von Gesuchen äußerst unfreundlich sein. Manchmal habe er auch gern von Herunterwerfung vom Bureau Gebrauch gemacht. Besonders unangenehm hat es [Geiping] berührt, daß [Döpper] im August c. mehrere Landwehrleute mit ihren Gesuchen abgewiesen hat. Darunter war der Landwehrmann Schäper hierselbst, welcher 3 Feldzüge mitgemacht und im letzten an 13 Schlachten Theil genommen hat.

Geiping wiederholt die Klage über eigenständige Ausgabe-Anweisungen des Amtmanns, führt an, dass dieser sich nicht zur Aufnahme seines Personenstandes für 1872 bei ihm gemeldet hatte, vermisst immer noch notwendige Akten und Utensilien für seine Amtsführung und außerdem hätte bei der Besetzung der Polizeidienerstelle gehört werden müssen. Am Ende des Briefes beschwert er sich über Ausdrücke des Amtmanns gegenüber den Vertretern der Gemeinde und Mitgliedern des Schulvorstandes, die nichts weniger als schmeichelnd sind. Geiping teilt mit: Der Ausdruck „dummer Bauer“ fällt nicht mehr auf und habe ich und die Gemeinde uns daran bald gewöhnt. Nun beantrage ich hiermit fürwahr, keine Bestrafung sondern vielmehr Abschaffung unleidlicher Zustände in der Gemeinde und bitte gehorsamst, Eine Königlich Wohllöbliche Regierung wolle veranlassen, daß der Herr Amtmann Döpper Hand in Hand mit mir das Interesse der Gemeinde und des Staats fördere, mir in meinen Amtspflichten hilfreich zur Seite stehe und zugleich den gerechten Wünschen der Gemeinde Rechnung trage. Und zum Schluss seiner Beschwerde bekommt auch das Landratsamt noch einen Hieb ab. Dieses, so klagt Geiping, scheine seine und der Gemeinde gerechten Wünsche wenig zu beachten.

Der Amtmann wehrt sich

Die Entgegnung des Amtmanns hierauf umfasst in der Vorschrift siebeneinhalb eng beschriebene Seiten. Bevor er auf die einzelnen Vorwürfe eingeht, schickt er folgende Einschätzung voraus: Die ungerechtfertigten Beschuldigungen in der Eingabe des Gemeinde Vorstehers Geiping vom 17. Dezember pr. sind mir zwar höchst unangenehm, jedoch können mich diese nicht weiter berühren, als sie mehr oder weniger nur einen persönlichen Charakter haben und nur von dem Gemeinde Vorsteher Geiping und von seinem Schreiber Pohlschröder ausgehen, denen eine Fachkenntniß nicht innewohnt und aus diesem Grunde Forderungen stellen, denen ein Fachmann sowohl, wie rechtliche intelligente Menschen durchaus nicht zustimmen.

Zu den Strafmandaten schreibt er, sie seien auf Grund von vier Verordnungen oder Gesetzen erteilt worden und von den 59 Betroffenen habe nur einer auf eine richterliche Entscheidung angetragen. Warum die An- und Abmeldungen unterblieben waren, spiele für ihn keine Rolle; er habe aber bemerkt, dass sie nicht mehr vollständig waren und deshalb die Eingesessenen an ihre Verpflichtung erinnert. Zur weiteren Rechtfertigung seiner Strafaktion führt er an: In der Gemeinde Bork sind eine Meuthe widerspenstige Menschen vertreten und ist mit diesen ohne Bestrafung wohl schwerlich auszukommen. So ist es bei Feuersbrünsten kaum ausführbar die Menschen zur Löschung heranzuziehen. Bei vielen herscht ein schlechter Geist welcher vielleicht noch aus dem Jahre 1848 datirt und dürften noch Jahre vergehen ehe die Stimmung eine bessere wird.

Döpper weist den Vorwurf unbeliebt zu sein zurück – aus Selm und Altlünen hätte er noch keine Klagen gehört – , begründet seine Nichtmeldung für die Klassensteuerrolle, – die nach seiner Einschätzung nicht nötig gewesen war, weil die Zahlen vorlagen – und räumt ein, dass er selbstverständlich nicht zu jeder Zeit auf dem Büro anwesend sein könne, da er viele Verpflichtungen erfüllen müsse, die nicht auf der Amtsstube zu erledigen seien. Bei seiner Abwesenheit sei aber immer der Sekretär, den er selber mit 120 Talern jährlich bezahle, im Büro zu erreichen. Geiping weitere Bürounterlagen zur Verfügung zu stellen, so Döpper, sei nicht seine Aufgabe. Das Hickhack um die Klassensteuerrollen wurde vom Amtmann aus seiner Sicht referiert. Die Unzufriedenheit einiger Einwohner, so vermutet er, resultiere  wahrscheinlich daraus, dass er nicht allen ihren Anträgen und Gesuchen zustimmen konnte. Aber Nichterfüllung sei keine Unfreundlichkeit, sondern Befolgung von Verfügungen und Gesetzen. Im Falle des Landwehrmanns Schäper sei genau das der Fall gewesen, aber dies werde die beim Landratsamt anstehende Verhandlung ergeben, die aufgrund einer für den Schäper vom Lehrer Pohlschröder verfassten sehr unschmeichelhaften Beschwerde anstehe.

Döpper konnte sich erinnern, zweimal Leute zum Verlassen des Büros aufgefordert zu haben.  Im ersten Fall ging es um den Gemeindeverordneten Ickerodt, welcher hartnäckig Forderungen stellte, die ich sofort nicht erfüllen konnte und der trotz aller vernünftiger Vorhaltungen von meiner Seite sich nicht entfernen wollte und in Folge dessen auf Grund des § 123 des Strafgesetzbuches vom Königlichen Kreisgericht in Lüdinghausen zu 10 Taler Geldstrafe rechtskräftig verurtheilt ist; ein anderesmal bei dem Lehrer Pohlschröder, als er mit dem Gemeinde Vorsteher Geiping auf dem Amtsbureau anwesend war mir Vorhaltungen machte und sich dahin aussprach, daß ich nichts zu melden habe. Von anderen Fällen weiß ich nicht. In den vorliegenden Fällen glaube ich richtig gehandelt zu haben und werde mich auch nicht scheuen, erforderlichen Falls ferner von dem §123 des Strafgesetzbuches Gebrauch zu machen.

Gemeindevertreter und Mitglieder des Schulvorstandes „dumme Bauern“ genannt zu haben, weist Döpper weit von sich. Doch, so räumt er ein,  kann die Bezeichnung in Fällen von unvernünftigen und ungerechten Diskussionsbeiträgen gefallen sein, zwar wohl nur in objectiver und nicht in subjectiver Beziehung. (Was immer das auch bedeuten mag.) Selbstsicher fügte Döpper hinzu: Sollte daher Geiping oder ein Anderer der Meinung sein, von mir injurirt [beleidigt] worden zu sein, so stelle ich ihm die Anbringung einer Injurienklage gerne anheim. Dies war längst geschehen, wovon Döpper gewusst haben muss, denn für den 10. Januar war er vom Schiedsmann Hördemann zu einem Sühnetermin geladen worden. Den hier zitierten Bericht verfasste Döpper am 13. Januar.

Zum Schluss seines Schreibens machte Döpper keinen Hehl mehr aus seiner Verärgerung und teilte in Richtung Geiping und Pohlschröder noch einmal aus: Ich kann mich daher im Allgemeinen über die Beschwerde nur dahin aussprechen, daß der p Geiping eigentlich nicht weiß waß er will und daß mir die Beschwerde mehr von dem Lehrer Pohlschröder – welcher keinesweges in seinem Hause ein ordentliches Familienleben führt, nie ohne lange Pfeife anzutreffen ist und außer der Schulzeit fast die ganze Zeit im Wirthshause zubringt – ausgegangen scheint, da dieser hier als Querulant bekannt ist.

Wenn nun der Vorsteher Geiping davon spricht, daß ich mit ihm Hand in Hand das Interesse der Gemeinde fördern solle so sind dieses leere Phrasen, da ohne Beobachtung der Gesetze das Interesse der Gemeinde nicht gefördert werden kann und er eben nicht derjenige ist, der Gesetze und Gemeinde Interessen kennt, wie er denn auch in verschiedenen Handlungen an den Tag gelegt hat, wo ich gezwungen war, ihm entschieden entgegen zu treten. Ich kann und werde dem p Geiping in seinen ungerechtfertigten Handlungen nie Vorschub leisten.

Lüdinghausen an Geiping

Lüdinghausen, das von der Königlichen Regierung beauftragt worden war, über die Beschwerde Geipings zu entscheiden, schrieb dem Vorsteher ihm März 1872: ..., daß nach den angestellten Ermittlungen sich durchaus keine Begründung für die einzelnen von Ihnen vorgebrachten Beschwerdepunkte finden läßt. Es trägt im Gegentheil die Beschwerde das Gepräge persönlicher Gehässigkeit gegenüber dem Amtmann und kann ich Ihnen daher Ihr Vorgehen gegen den letzteren nur ernstlich verweisen.

Gleichzeitig empfehle ich Ihnen wiederholt, den Gang der Gemeindeangelegenheiten nicht durch eine ungerechtfertigte Opposition gegen die Anordnungen des Amts [zu] hemmen.

Fortsetzung folgt.

Oktober 2016
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1. und folgende Zitate, falls nicht anders angegeben: StA Selm, AB-1 – 50.

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