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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Kleinkrieg in Bork (1871/1872)

Christel Gewitzsch

Folge V/V (Schluss)        I, II, III, IV

Die Schlacht - Die Beleidigungsklage vom Januar 1872

Am 5. Januar 1872 reichte der Gemeindevorsteher Geiping aus Bork eine Beleidigungsklage gegen den Amtmann Döpper ein. Die Vorfälle, die dieser Klage zugrunde lagen, ereigneten sich in der Gemeindeversammlung vom 20. Dezember 1871, in der es um die Abtretung der von der politischen Gemeinde Bork erworbenen Schulgebäude an die Schulgemeinde Bork ging.

Bevor die Klage vor Gericht verhandelt werden konnte, hatten sich die Kontrahenten beim Schiedsmann zu einem Sühnetermin einzufinden. Der amtierende Schiedsmann Friedrich Hördemann lud zum 10. Januar dazu ein. Die Vorladung verfasste er eigenhändig, steckte sie in ein Kuvert, versiegelte dieses, legte eine Abschrift der Klage hinzu und ließ sie durch den Steuerboten Niess dem Amtmann zustellen.

Döpper kam an diesem Tag nicht; auch nicht, nachdem der Schiedsmann persönlich bei ihm nachfragte, ob er die Einladung bekommen habe. Dafür erklärte er aber, sich nicht vergleichen zu wollen.

Wegen des gescheiterten Sühnetermins beraumte das Kreisgericht in Lüdinghausen die erste Gerichtsverhandlung für den 16. April an. Es folgten zwei weitere Termine, an denen die Zeugen vernommen wurden. Nach dem Schiedsmann Hördemann kamen als Gemeindeverordnete der Ökonom Schulze Wischeler und der Kolon Ickerodt aus Netteberge, der Schreinermeister Körver aus Bork und der Verwalter Heindorf aus Cappenberg zu Wort. Außerdem vernahm das Gericht den bei der besagten Gemeindeversammlung anwesenden Sekretär Wilhelm Dinkheller aus Selm. Am vierten Verhandlungstag verkündete das Gericht sein Urteil und begründete dieses.

Das Urteil

Im Namen des Königs. [1]

In Sachen des Gemeindevorstehers Schulze Geiping im Kspl. Bork, Klägers, wider den Amtmann Döpper zu Bork, Verklagten, hat der Commissar für Injurien-Sachen beim Königlichen Kreisgerichte zu Lüdinghausen in der Sitzung vom 26. Juni 1872 für Recht erkannt:

Dass der Verklagte wegen Beleidigung des Klägers mit einer Geldstrafe von zehn Thalern zu belegen, welcher im Unvermögensfalle 2 Tage Haft zu substituiren, dem Verklagten auch die Kosten zur Last zu legen.

Von – Rechts – Wegen.

Gründe.

Am 20. Dezember pr. fand im Amtsbureau zu Bork eine Amtsversammlung der Gemeinde Verordneten von Bork Statt, an welcher der Verklagte als Amtsvorsteher und Vorsitzender, der Kläger als Gemeinde-Verordneter Theil nahm. Der zur Berathung gestellte Gegenstand betraf die Umschreibung eines von der politische Gemeinde Bork erworbenen Schulgebäudes auf die Schulgemeinde Bork, Kläger und noch andere Gemeinde-Vertreter nahmen gegen die Vorladung Stellung. Die Klage behauptet, Kläger habe in diesem Sinne wiederholt das Wort ergriffen, Verklagter habe hierdurch veranlasst, und da er mit seinem Antrage nicht durchdringen konnte, sich zu verschiedenen ungehörigen Redensarten hinreissen lassen, und im Laufe der Discussion zu dem Kläger gesagt: „Sie haben hier Nichts zu sagen, ich habe den Vorsitz! Sie sind immer halsstarrig!“ und endlich: „Sie haben einen großen Kopf aber es ist wenig drin.“ Kläger findet in diesen Worten eine Beleidigung seiner Person an sich und mit Rücksicht auf seine Eigenschaft als Gemeinde-Vorsteher und größerer Grundbesitzer. Er verlangte deshalb klagend die Bestrafung des Verklagten wegen Beleidigung, indem er Atteste des zuständigen Schiedsmannes vom 10. Januar 1872 übergibt, Inhalts dessen der Verklagte in dem auf den genannten Tag angesetzten Sühnetermine nicht erschienen ist.

Der Verklagte wendete zunächst unter Überreichung einer Ladung des Schiedsmannes Hördemann vom 7. Januar c. ein, dass er zu dem 10. Januar c. statt gefundenen Termine nicht vorgeladen sei, da seine Ladung den 19. Januar c. als Termintag bezeichne, dass die Klage deshalb zur Zeit unzulässig sei.

In der Hauptsache beantragte Verklagter Abweisung der Klage. Er stellte die Sache so dar, dass der Kläger unter dem unbegründeten Vorwande, er sei zu der Versammlung zu spät vorgeladen – obgleich sich die Ladung bereits am 17, Dezember pr. dem mit der Insinuation [Zustellung] beauftragen Polizeidiener behändigt und von diesem an folgenden Tage dem Kläger zugestellt sei - , die Abhaltung der Versammlung überhaupt zu verhindern gesucht, und wiederholt den Vortrag des Verklagten als Vorsitzenden unterbrochen habe.

Dieser habe ihm erklärt; „Beschweren Sie sich, aber hindern Sie mich nicht an meinem Vortrage! Ich habe für heute den Vorsitz zu führen,“ und als die Störung danach andauerte, gesagt: „Sie sind halsstarrig, Sie wissen nicht, was Sie sagen, wenn sie es da (:auf die Stirn deutend:) nur mehr hätten“ (:das heißt: die Gemeinde Ordnung besser verständen:).

Die Äußerung: „Sie haben einen großen Kopf, aber es ist wenig drin,“ bestreitet Verklagter, erneut, aber will er sie so verstanden wissen; daß der Kläger die Gemeinde Ordnung besser verstehen und handhaben müsse; die Absicht einer Beleidigung habe ihm fern gelegen. Der Verklagte hebt schließlich hervor, Kläger besitze nicht die erforderliche Qualification als Gemeinde-Vorsteher, mache fortwährend Missgriffe gegen die gesetzlichen Bestimmungen, opponire prinzipiell seiner Amtsführung und habe zu einer Reihe von Beschwerden bei Königlicher Regierung Veranlassung gegeben.

Kläger hat die Einrede des Verklagten bestritten.

Es ist Beweisaufnahme erfolgt, nach deren Ergebniss wie geschehen, zu erkennen war.

Der Schiedsmann Kolon Hördemann zu Bork hat eidlich ausgesagt: er habe als zuständiger Schiedsmann den Termin zum Sühneversuch auf Mittwoch den 10. Januar d.J. anberaumt. Die Vorladung an den Verklagten – die nämliche, welche von Letzteren zu den Acten übergeben ist, habe er selbst ausgefüllt und darin den Terminstag deutlich als den 10. Januar bezeichnet. Er habe diese Vorladung in ein Couvert gelegt, solches mit seinem Schiedmannssiegel geschlossen und einschließlich einer Klage Abschrift dem Verklagten durch den Steuerdiener zu Bork zustellen lassen. Die in der Vorladung vorgenommene Veränderung der Zahl 10 in 19 könne nur nach der Übergabe der verschlossenen Ladung an den Steuerboten erfolgt sein. – Am 10. Januar habe sich zur Terminstunde nur der Kläger eingefunden; er, Zeuge, sei darauf persönlich zum Verklagten gegangen, habe sich erkundigt, ob dieser die Klage bekommen und zur Antwort erhalten, daß ihm Klage und Vorladung zugestellt seien, daß er aber sich nicht vergleichen wolle.

Durch diese Aussage in Verbindung mit dem Inhalt der eingereichten Vorladung welche Mittwoch (der 19. Januar fiel auf einen Freitag, den 19. Januar c. (:die Zahl ist verwischt und kann fast ebenso gut 10 als 19 gelesen werden:) als den Termintag bezeichnet, muß die gehörig erfolgte Vorladung des Verklagten zum Sühnetermine als festgestellt erachtet werden. Die im Art. XVIII Gesetz vom 14.4.1853 verlangte Vorbedingung zur Aufstellung der Klage ist daher erfüllt und diese letztere an sich zulässig.

Was die Hauptsache anbelangt, so haben die Zeugen Oeconom Schulze Wischeler, Kolon Ickerodt und Schreinermeister Körver, welche als Gemeinde Vertreter an der in Frage stehenden Versammlung theil genommen haben, übereinstimmend bekundet, daß die Versammlung begonnen habe mit dem Vortrage des Vorsitzenden, Amtmann Döpper, über die zur Berathung stehende Schulangelegenheit, und daß dann der Kläger das Wort ergriffen habe mit dem Antrage, die Versammlung zu vertagen, weil ihm die Vorladung zu spät zugestellt sei und weil es nöthig sei, vor der Beschlußfassung sich weiter zu berathen. Hierauf habe der Verklagte erwidert: „Sie haben hier Nichts zu sagen,  ich führe den Vorsitz“; wie Ickerodt bekundet, setzte der Verklagte diesen Worten noch hinzu: „Wenn Sie etwas dagegen haben, beschweren Sie sich.“  Zeuge Wischeler bekundete weiter, daß Kläger hiernach die Bemerkung gemacht, er dürfe doch frei sprechen. Im ferneren Verlaufe der Verhandlung sei die Rede auf die Arbeiten des Klägers als Vorsteher gekommen, welche der Verklagte eine Zeitlang für ihn besorgt habe. Verklagter habe mit Beziehung hierauf gesagt: „das haben Sie Ihrer Ballstarrigkeit oder Halsstarrigkeit zu verdanken; ich wollte mir nicht länger Grobheiten von Ihnen gefallen lassen.“ Noch später habe Kläger in Bezug auf den Berathungs-Gegenstand die Bemerkung gemacht, es könne das bisherige Schulgebäude abgebrochen und in Netteberge wieder aufgebaut werden, worauf Verklagter entgegnet habe: „Sprechen Sie doch solche Dummheiten nicht,“ und (:mit der Hand auf die Stirn zeigend:) „da zeigen Sie ja, daß Sie hier Nichts los haben.“ – Der Verklagte sei bei der ganzen Verhandlung etwas gereizt erschienen.

Seine Vorlage, welche damals schon zum zweiten Male vor die Gemeinde-Vertretung gebracht worden, sei von letzterer auch in jener Versammlung abgelehnt. Zeuge Ickerodt und Zeuge Körver bestätigten die Aussage des p. Wischeler insofern, als auch sie bekunden, der Verklagte habe zum Kläger gesagt: „Mit Ihrer Ballstreitigkeit oder Halsstarrigkeit wollen Sie Alles durchsetzen (:oder kommen Sie nicht durch:); hier (:auf die Stirn deutend:) da fehlt es Ihnen.“ Beiden steht auch vor, daß Verklagter gesagt: „Sie haben eine  großen oder dicken Kopf“ sie entsinnen sich dessen aber nicht genau mehr.

Ickerodt setzte noch hinzu: Als der Kläger von dem Abbruche einer Schule und dem Wiederaufbau in Netteberge gesprochen, habe Verklagter ihm bemerkt: „Sprechen Sie doch solchen Unsinn (:oder solche Dummheit:) nicht, ein Kind in der Schule würde vernünftiger sprechen wie Sie.“

Von der verklagtischen Seite benannten Zeugen hat der Verwalter und Gemeinde Vorsteher Heindorf von Cappenberg deponirt: Der Kläger Geiping habe bei der fraglichen Versammlung gegen deren Abhaltung protestirt und Vertagung verlangt, weil ihm die Vorladung nicht rechtzeitig zugestellt sei, und habe hierbei beharrt, auch, nachdem ihm der Verklagte als Vorsitzender erklärte, er führe den Vorsitz, Geiping möge sich beschweren. Weiterhin habe Kläger von dem Abbruche eines Schulgebäudes und dessen Wiederaufbau zu Netteberge gesprochen. Verklagter habe ihm entgegnet: „Schulte, Schulte, Sie müssen sich die gesetzlichen Bestimmungen ansehen“ und dabei auf seine Stirn gezeigt. Der Erstere habe dem Kläger gegenüber auch das Wort Halsstarrigkeit gebraucht.

Der früher beim Amte Bork fungirende Privatsekretär Dinkheller, welcher bei der fraglichen Versammlung anwesend gewesen ist, bestätigte die Aussage des Heindorf in ihrem ersten Theile. In Betreff der Äußerung des Klägers über den Abbruch und Wiederaufbau des Schulhauses weiss dieser Zeuge, daß der Verklagte als Antwort, sich auf die Stirn zeigend, gesagt: „ Geiping! Geiping!“ und noch andere Worte gesprochen habe, die ihm Zeugen aber entfallen sind.

Bei den abweichenden Depositionen der vorstehend genannten Zeugen müssen die Vernehmung der übrigen vom Kläger benannten Zeugen für nöthig erachtet werden. Diese, es sind der Kötter Vieter, Kolon Kerkhoff und Kolon Dahlkamp, sämmtlich theilnehmende Gemeinde-Vertreter bei der fraglichen Versammlung, bekunden übereinstimmend eidlich: Dass der Verklagte im Laufe der Verhandlungen zu dem Kläger gesagt: „Sie haben einen dicken (:oder großen:) Kopf;“ und auf die Stirn deutend: “hier da fehlt es Ihnen.“ Dahlkamp weicht nur insofern ab, als nach ihm Verklagter gesagt: „Sie haben einen großen Kopf, aber wenig ...“ und bei dem letzten Worte auf die Stirn gezeigt habe. Wie Mühlenbeck sagte, hat Verklagter, nach dem Worte „Kopf“ noch hinzu gesetzt: „aber es sitzt wenig darin“, während nach Aussage des Surholt diese eingeschobenen Worte gelautet haben: „ es sitzt nicht viel darin.“

Aus dem vorstehenden und den übereinstimmenden Aussagen der Mehrzahl der Zeugen ergibt sich die Feststellung, dass der Verklagte während der fraglichen Amtsverordneten Sitzung dem Kläger den Vorwurf der Halsstarrigkeit gemacht und zu ihm gesagt hat: „Sie haben eine  dicken (:oder großen Kopf:) aber es ist wenig darin, hier (:auf die Stirn zeigend:) da fehlt es Ihnen.“ Die abweichenden Angaben betreffs der einzelnen Worte erklären sich wol dadurch, dass seit dem Vorgefallenen eine Frist von 5 bis 6 Monaten verflossen und das Gedächtniss seitdem in etwa verwischt ist. Das Wort Halsstarrigkeit enthält unter den obwaltenden Umständen wenngleich da wieder Vorwurf des zähen unbegründeten Festhaltens an einem gefassten Entschlusse oder einer Meinung liegt, doch noch keine Beleidigung. Wohl aber ist objectiv eine solche in den Worten: „Sie haben u.s.w.“ zu finden, welche ehrenkränkend für den Kläger an sich und insbesondere in seiner Eigenschaft als Mitglied der Versammlung sind, da sie den Vorwurf der Unfähigkeit und Dummheit enthalten.

Diese Worte bewegen sich nicht in der innerhalb der bei Versammlungen, wie die in Frage stehende, zulässigen Redefreiheit und nicht innerhalb der Grenzen der dem Verklagten als Vorsitzender gegebenen Disziplinar-Gewalt, sondern verletzen die Achtung worauf Kläger an sich und als Mitglied der Gemeinde-Versammlung Anspruch hat; sie enthalten auch mehr, als den Vorwurf der Unkenntniß der Gesetze, wie Verklagter darzulegen sucht. Der Letztere hat aber auch, indem er in der Gereiztheit über die ihm gemachte Opposition sich dieser Worte bedient, wohl das Bewusstsein von der darin enthaltenen Ehrenkränkung für den Kläger gehabt, dieses geht aus dem Inhalte der Worte selbst und der Umstände hervor und daß genügt zur Feststellung der zum Thatbestand der Beleidigung gehörenden strafbaren Absicht; [...]

Es wird demnach thatsächlich festgestellt, dass der Verklagte in der am 20. Dezember pr. abgehaltenen Gemeinde-Versammlung zu Bork den an dieser Verhandlung als Gemeinde-Vorsteher Theilnehmenden Kläger durch die Worte; „Sie haben einen dicken (:oder großen:) Kopf, aber es ist wenig darin; wenn Sie es hier (:auf die Stirn deutend:) mehr hätten,“ beleidigt hat.

An dieser Feststellung kann der Umstand, dass die von Verklagten in der fraglichen Versammlung gemachten Vorschläge an sich für die Gemeinde Bork von Vortheil, dass die Opposition des Klägers und anderer Gemeinde-Vertreter vielleicht gegen deren Interesse und ungerechtfertigt war, auch die Amtsführung des Klägers zu Beschwerden und Klagen Veranlassung gegeben hat, Nichts ändern, da Kläger, solange er die Function des Gemeinde-Vorstehers resp. Vertreter hat, die entsprechende Achtung und Behandlung fordern kann. – Übrigens hat die Beweisaufnahme nicht dargethan, dass Kläger in ungehöriger Weise dem Verklagten als Vorsitzender der Versammlung entgegengetreten ist. –

Die Beleidigung ist im § 185 Straf-Gesetz-Buch mit Geldstrafe bis zu 200 Thaler, Haft oder Gefängniss bis 1 Jahr bedroht. Mit Rücksicht hierauf, auf die obige Feststellung und die Standesverhältnisse der Partheien ist die Strafe, wie geschehen, arbitrirt, [nach Billigkeit bestimmt] für die eventuelle Haftstrafe sind die §§ 28 u.29 daselbst maasgebend gewesen.

Die Kosten fallen dem Verklagen als unterliegenden Theile [...] zur Last.

Königliches Kreisgericht I. Abteilung.

Der Commissar für Injurien-Sachen

In Vertretung  [Unterschrift]

[Siegel des Königl. Preuß. Kreisgerichts Lüdinghausen]

Herrn Amtmann Döpper zur Bork zu Händen des Herrn Rechtsanwalts Laumann hier.

Döpper bezahlte die Strafe und alle weiteren Forderungen der Rechtsanwälte etc. klaglos.

Oktober 2016
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[1] und folgende Zitate, StA Selm, AB-1 – 50.

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