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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Kleinkrieg in Bork in fünf Folgen – 1871/1872

Christel Gewitzsch

Folge II/V          I, III, IV, V

Ein Gefecht – Das Duo Geiping & Pohlschröder

Im nächsten Konflikt zwischen Geiping und Döpper spielte der Borker Lehrer Pohlschröder eine tragende Nebenrolle. Im August stellte er bei der Regierung einen Antrag zur Genehmigung der Übernahme von Nebengeschäften. Er wollte zusätzlich als Sekretär des Gemeindevorstehers Geiping tätig werden. Der Amtmann sollte sich nach Rücksprache mit dem Pfarrer dazu äußern. Mit seinem Antrag trat Pohlschröder eine Welle weiterer Ermittlungen los.

Döpper hielt in seinem Bericht für das Landratsamt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Pohlschröder verrichte schon seit einigen Monaten schriftliche Arbeiten für den Gemeindevorsteher. Falls es ihm in Zukunft erlaubt sein sollte, weitere Aufgaben für diesen zu übernehmen, müsse der Lehrer entweder seine Schulverpflichtungen oder die neuen Aufgabenbereiche vernachlässigen. Geiping, der eine Stunde entfernt vom Dorf Bork nahe der Grenze zu Südkirchen wohne, würde wohl einige Eingesessene, wenn sie sich wegen An- und Abmeldungen, Bezahlung von Rechnungen für die Gemeindekasse etc. bei ihm melden würden, an den Lehrer verweisen. Kämen die Leute dann während der Schulzeit ins Dorf, müssten sie eigentlich bis zur Beendigung des Unterrichts warten. Das wäre ihnen sicher nicht zuzumuten, aber den Unterricht unterbrechen dürfe der Lehrer auch nicht.

Was es ... mit der eifrigen und gewissenhaften Erfüllung seiner Amtspflichten auf sich hat[1] schilderte der Amtmann am Ende seines Briefes. Der Lehrer habe schon mehrmals zu Beginn der Schulzeit morgens auf sich warten lassen und in einigen Fällen sich alsdann durch ein selbst noch schulpflichtiges Mädchen, welches er bei sich in Pflege hat, hat vertreten lassen.  

Die Königliche Regierung entschied den Antrag nicht sofort, sondern forderte weitere Stellungnahmen und Befragungen. Unter anderem sollte Döpper eine erneute gutachterliche Berichterstattung einsenden und mitteilen, ob aus des Lehrers Stellung zum Vorsteher weitere Missstände aufgetreten wären.

Vorfall Heindorf

Die Äußerungen des Schulvorstandes dazu, die Döpper in seinem Antwortschreiben erwähnte, liegen leider nicht vor. Der Amtmann selber erklärte noch einmal unmissverständlich, dass man mit der Führung der Geschäfte durch den Lehrer nicht zufrieden sein kann, da hierbei alle Vorschriften und Gesetze außer Acht gelassen und der Pohlschröder sich am 24. October c. in der Gemeinde Versammlung, wo ungesetzliche und unmotivirte Beschlüsse gefaßt sind, erlaubt hat, den für die Gräfin von Kielmannsegge bevollmächtigten Verwalter Heindorf - nachdem dieser den Gemeinde Vorsteher Geiping in der Versammlung auf die Ungesetzlichkeit des Beschlusses aufmerksam gemacht und seine Unterschrift verweigert hat „Quertreiber“ oder „Querulanten“ zu nennen.

Auch an der fehlerhaften Besteuerung seiner Person für 1872, so vermutete der Amtmann, sei der Pohlschröder schuld.

Bitte der Lehrerin

Kreissekretär Allard, der diese Korrespondenz erledigte, wollte noch darüber informiert werden, was es mit den im Dorf kursierenden Witzeleien über die nächtliche Anwesenheit einer Person in dem Hause der Lehrerin auf sich hatte. Allard sah den Ruf der Lehrerin gefährdet und die Verdächtigungen, die gegen den Lehrer laut geworden wären, bedürften wohl einer näheren Untersuchung. Er empfahl, die Magd der Lehrerin zu verhören und dies mit dem Herrn Pfarrer in nicht Aufsehen erregender Weise vorzunehmen.

Der Dorfklatsch dazu rankte sich um einen Vorfall im August, auf Grund dessen die Lehrerin Uedinck um die Verlegung der vom Lehrer Pohlschröder zu nutzenden Kellertür bat. Diese Tür war nur durch ihre Küche zu erreichen und somit verfügte sie nicht über eine abgeschlossene Wohnung. Die Lehrerin fühlte sich in ihrer Wohnung nicht mehr sicher und angesichts der bevorstehenden Ferien, ersuchte sie den Schulvorstand um eine schnelle Erledigung ihrer Bitte.

Schon fünf Tage später tagte dieser und erklärte: Versammlung erkannte die Nothwendigkeit der Beschaffung einer verschließbaren Wohnung an und beschloß, die in der Küche der Lehrerin vorhandene zu dem Keller des Lehrers Pohlschröder führende Thüre dort wegzunehmen und solche an der Tenne des Hauses wieder anzubringen, wodurch dann der Zugang zum Keller wieder hergestellt sei. Geiping nahm an dieser Sitzung teil. Der Schreinermeister Krutwage wurde mit der Ausführung der Arbeit beauftragt und damit schien die Sache erledigt zu sein.

Eigenmächtigkeit der Gemeindeversammlung

3. Die Gemeindevertreter

Zwei Monate später allerdings las man auf der Einladung zur Gemeindeversammlung den Punkt f. Gesuch des Lehrers Pohlschröder. Abgesehen davon, dass dieser und weitere Tageordnungspunkte vom Amtmann als unvollständig beanstandet wurden und auch andere Entscheidungen dieser Versammlung später Anlass zu Auseinandersetzungen boten, tauchte im Protokoll der Versammlung folgender Beschluss auf: 6, Die Gemeinde Vertretung beschloß auf das Gesuch des Lehrers Pohlschröder den Eingang zu seinem Keller sofort wieder herzustellen, wie derselbe ihm von der Gemeinde übergeben ist, und beauftragte den W. Körver mit der Ausführung. Dies war übrigens die Sitzung, in der der Verwalter Heindorf seine Unterschrift unter das Protokoll verweigerte.

Sofort nach der Versammlung machte sich Körver, der Mitglied der Gemeindeversammlung war, ans Werk. Die Lehrerin schrieb am selben Tag dem Amtmann:

Heute Mittag ist vom Hr. Lehrer Pohlschröder u. von Körver die Wand in meiner Küche eingeschlagen u. die Thür wieder eingesetzt. Ich schickte sofort zu Ihnen, die Magd fand Sie aber nicht zu Hause. Deshalb halte ich es für meine Pflicht Ihnen schriftlich hiervon Anzeige zu machen. Morgen soll ein Gang durch meine Küche gelegt werden, wodurch meine Wohnung ganz unfrei u. die Küche dunkel würde.

Amtmann Döpper wandte sich ans Landratsamt. Er schilderte die Vorgeschichte und resümierte: Dieses Verfahren kann und darf nicht geduldet werden da es eine Gesetzlosigkeit und Zügellosigkeit in mannigfacher Art in sich faßt. Da die Schulgemeinde Besitzerin der Schulgebäude nebst Wohnungen sei und die Schulgemeindevertretung innere und äußere Schulangelegenheiten zu beschließen habe, habe die politische Gemeinde hier nichts mehr zu bestimmen. Er wiederholte seine Kritik an der Abfassung der Tagesordnung und beklagte ebenso die schnelle Ausführung des Beschlusses, weil er dadurch seines Rechts zur Beanstandung beraubt worden war. Zum wiederholten Male beklagte er sich über den renitenten Gemeindevorsteher und bat, diesen zur Verantwortung zu ziehen. Geiping solle dahin belehrt werde, daß gesetzliche Vorschriften beachtet werden müssen und er sich bei etwaiger Unkentniß mit denselben vertraut zu machen habe, falls er die ihm als Vorsteher obliegenden Pflichten erfüllen und die Rechte der Gemeinde wahrnehmen wolle. Döpper beantragte auch, Geiping zu verpflichten, die Türverlegung wieder rückgängig zu machen.

Vernehmung der Magd

Nach diesen Querelen kam es nun zur Vernehmung der 18-jährigen Dienstmagd Anna Stüer. Sie erklärte Folgendes:

Seit Herbst 1870 wohne ich als Magd bei der Lehrerin Uedinck in Bork.

Die Wohnung derselben ist eine Dienstwohnung, welche sie mit der Familie des Lehrers Pohlschröder theilt, so daß sie die Parterre Wohnung und der Lehrer Pohlschröder die Räume des I. Stocks als Wohnung benutzt. Der Dachboden und die Tenne dieses Hauses wird gemeinschaftlich benutzt. Von dem Dachboden ist eine Verbindung mit der Diele mittelst einer Leiter angebracht.  Der Weg zu dem Keller des Lehrers Pohlschröder führt durch die Küche der Lehrerin Uedinck und ist der Lehrer Pohlschröder sonach auch im Besitz eines Schlüssels zu der Uedinckschen Küche.

Vor ungefähr einem halben Jahre befand ich mich allein in der Küche der Lehrerin Uedinck, als auch der Lehrer Pohlschröder daselbst erschien, ungemein arglos und freundlich that, und mich aufforderte, nach oben zu kommen. Ich vermuthete in dieser freundlichen Aufforderung nur schlechte Absichten des Pohlschröders, zumal er mit mir nichts zu sprechen haben konnte und ich mit ihm nicht auf bekanntem Fuße stand.

Dieses Ansinnen hat der Pohlschröder seit der Zeit nicht wieder an mich gestellt.

Im Monate August c. etwas gegen 1 ½ Uhr nach Mitternacht wachte ich durch den Umsturz eines Mehlfasses plötzlich auf und hörte dann, daß sich Menschen durch die Küche und auf meine Schlafkammer geschlichen hatten, daß hierdurch der Umsturz des Mehlfäßchens veranlaßt sein mußte und das 1 oder 2 Personen, als ich aus dem Bette sprang, um Licht anzuzünden sich von meiner Schlafkammer resp. aus der Küche entfernten.

Daß aus diesem Vorfall, da nichts gestohlen worden ist, nichts Gutes gefolgert werden kann, liegt auf der Hand. Nachdem ich die Lehrerin Uedinck und Fräulein Franziska Welter aus Münster welche gerade bei der Lehrerin auf Besuch war, wachgerufen hatte, ging ich zur Wohnung des Pohlschröders, um diesen zu rufen. Soweit ich mich erinnere, habe ich die Thüren an der Küche der Lehrerin am gedachten Abend  gehörig verschlossen und weiß daher nicht, wie und auf welche Weise die Frevler in unsere Wohnung gedrungen sind.

Verweis für den Gemeindevorsteher

Inzwischen war in Lüdinghausen der Regierungs-Assessor Schmitz als Landratsamts-Verwalter eingestellt. Er bezichtigte den Gemeindevorsteher einer eigenmächtigen Gesetzeswidrigkeit  bei der unverzüglichen Ausführung des Beschlusses und drückte sein Befremden darüber aus, dass Geiping zwei entgegengesetzte Entscheidungen kurz hintereinander getroffen habe. Schmitz folgerte: Es muß hieraus auf eine Unsicherheit in Ihren Absichten geschlossen werden, wie Sie bei Ihrer amtlichen Stellung nicht zu erwarten wäre, wenn nicht, was noch schlimmer wäre, der Grund in persönlichen Rücksichten gegenüber dem Lehrer Pohlschröder zu suchen ist, der nach Ihrer Angabe Ihr Schreiber ist.

Jedenfalls macht Ihr ganzes Auftreten in der fraglichen Sache den Eindruck, als wenn Sie nicht mit der nöthigen Objectivität auf die Anordnungen Ihrer nächstvorgesetzten Behörde eingingen und nicht vor Allem für Ihr Verhalten als das Maßgebende den ungestörten Fortgang der Gemeinde Angelegenheiten ansähen.

Er erteilte dem Gemeindevorsteher einen ernstlichen Verweis und kündete an, bei wiederkehrenden Ordnungswidrigkeiten [ihn] unnachsichtlich mit Ordnungsstrafen zu belegen.

Bezüglich der Tür verlangte Schmitz vom Geiping, sich sofort nach Absprache mit dem Amtmann darum zu kümmern, der Lehrerin eine abgeschlossene Wohnung zu verschaffen. Der Protest des Amtmanns gegen die Trennwand in der Küche fruchtete beim Geiping gar nicht, dafür trudelte die Rechnung des Körvers für die Türversetzung ein. Der Amtmann ersuchte Lüdinghausen um Unterstützung.

Entscheidung in Sachen Pohlschröder

All diese Untersuchungen hatten die Entscheidung über den Antrag des Pohlschröders, als Sekretär für den Gemeindevorsteher arbeiten zu dürfen, verzögert. Ende des Jahres 1871 fasst die Königliche Regierung ihren Beschluss dazu und schon wieder gab es Probleme. Der Lehrer sollte sich auf der Amtsstube informieren lassen, bat aber stattdessen um eine schriftliche Mitteilung, da er zu dem Termin die Arbeiten [s]einer Schüler zu überwachen und nachzusehen habe. Döpper räumte einen Ausweichtermin nach Beendigung der Schulzeit ein und drohte mit der Verhängung einer Polizeistrafe von drei Talern bei Nichterscheinen.

Münster teilte mit ..., daß es unter den obwaltenden Umständen, ohne mannigfache Unzuträglichkeiten herbeizuführen, dem Lehrer Pohlschröder zu Bork nicht würde gestattet werden können, förmlich als Sekretair des dortigen Gemeindevorstehers zu fungiren und als solcher sich der Besorgung amtlicher Acte zu unterziehen. Dagegen finden wir nichts dagegen zu erinnern, daß er, soweit dies mit seinen Pflichten als Schullehrer vereinbar ist, für den Gemeindevorsteher häusliche schriftliche Arbeiten ausführe.

Falls der Lehrer gegen diese Anordnung verstieße, dürfe er keinerlei Dienstleistungen für den Gemeindevorsteher mehr verrichten und müsse darüber hinaus mit Disziplinarmaßnahmen rechnen.

Als dann aber nach etwa drei Wochen Döpper über weitere amtliche Tätigkeiten des Lehrers Bericht erstattete, untersagte die Regierung diesem jegliche Tätigkeit für den Geiping,  erteilte dem Lehrer eine Verweis und drohte noch einmal mit schärferen Maßnahmen.

Bestrafung Geipings

Von diesem Beschluss gegen den Lehrer war laut Anweisung der Regierung auch der Gemeindevorsteher zu informieren, gegen den wegen seines Umgangs mit amtlichen Dokumenten ebenso disziplinarisch vorzugehen sei. Pohlschröder hatte bei seiner Vernehmung eingestanden, Blankoformulare zur Anfertigung von Klassensteuerabzugs-Attesten von Geiping bekommen zu haben. Dies gestand Geiping auch ein, da er bei jeder Abmeldung in Bork nicht anwesend sein könne um die betreffenden Abzugsatteste zu unterschreiben und dem Publicum nicht zugemuthet werden könne, den weiten Weg vom Dorf Bork nach seiner Wohnung zur Erlangung der Unterschrift zu machen.

Das sei eine Verletzung seiner amtlichen Pflichten und Geiping erhielt eine Ordnungsstrafe von drei Talern. Bei weiteren Vorfällen dieser Art drohte ihm ein Disziplinarverfahren auf Dienstentlassung. Diesem Verfahren konnte er im Juni 1872 nur ganz knapp entgehen. Nachdem Pohlschröder nicht mehr für ihn arbeiten durfte, besorgte der Schreiner Quante in Bork die Schreibarbeiten für den Vorsteher. Als der Zimmermann Heinrich Rötte aus Übbenhagen seinen Sohn Bernard, der nach Deutz ziehen wollte, beim Quante polizeilich abmeldete, erhielt er hierüber ein von Geiping unterzeichnetes Abzugsattest.  Wieder war ein Blankoformular benutzt worden. Weitreichendere Konsequenzen zog der Vorgang nur deshalb nicht nach sich, weil Quante versicherte, hier handele es sich um eine Ausnahme. Das Formular müsse zufällig in dem Stapel Papier gewesen sein, der ihm zu Beginn seiner Arbeit übergeben worden war. Dem Vorsteher warf die Aufsichtsbehörde deshalb nur eine Nachlässigkeit bei der Übergabe der Papiere vor. Er kam mit einer Verwarnung davon und erhielt den Auftrag, die Papiere nachträglich in Ordnung zu bringen.

September 2016
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1. und die folgenden Zitate: StA Selm, AB-1 - 50. 

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